Henschel und die Atombombe: Es blieb bei den Plänen

Kassel. Mindestens zwei Exemplare des 260-seitigen Dossiers über die Anwendungsmöglichkeiten der Kernphysik bei Henschel sind bekannt. Das geht aus überlieferten Dankschreiben an den bis 1957 amtierenden Firmen-Chef Oscar R. Henschel hervor.
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Unterschrieben sind die Briefe von Prof. Otto Hahn, dem Entdecker der Kernspaltung und Nobelpreisträger sowie von dem Braunschweiger Triebwerkskonstrukteur Prof. Otto Lutz. Über welche Umwege einer der Bände mit dem Titel „Kernphysik - Techn. Stand und Anwendungsmöglichkeiten“ (1941) jetzt nach Kassel gekommen ist, ist nicht bekannt. Es gibt jedenfalls Verhandlungen zwischen dem Vorstand des ehrenamtlich betriebenen Henschel-Museums und einem Kasseler Mittelsmann über einen Ankauf. Das bestätigt der Vorsitzende Achim Wickmann.

Spätestens seit dem 2005 veröffentlichten Buch „Hitlers Bombe“ des Berliner Historikers Rainer Karlsch ist bekannt, dass es auf vielen Ebenen in Hitlers Deutschland Bestrebungen gab, die Bombe zu bauen. Die Grundlage dafür lieferte Otto Hahns Entdeckung der Kernspaltung 1938. In Deutschland hatte das Heereswaffenamt schon 1939 den „Uranverein“ mit zahlreichen namhaften Kernphysikern gegründet. Darunter war der Leipziger Professor Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker, der Bruder des späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.
Panzer und Loks
Weder diese Wissenschaftler noch die Fachleute der großen Firmen wie Siemens oder auch Henschel sind über Vorüberlegungen und überschaubare Experiment hinausgekommen. Es habe weder einen funktionierenden deutschen Atomreaktor noch Atomwaffentests gegeben, stellte der renommierte Wissenschaftshistoriker Armin Herrmann in einem Spiegel-Interview fest.
Chef abgesetzt

Auch bei Henschel ist es bei dem Dossier geblieben. Die Kosten für Experimente als Vorstufe zum Bau einer Atombombe werden zwar mit zehn Millionen Reichsmark konkret angegeben. Als Firmenchef Oscar R. Henschel 1942 von der NS-Gauleitung abgesetzt wurde, war davon aber längst keine Rede mehr. Bei Henschel konzentrierte man sich auf die konventionelle Rüstung. Hier wurden unter anderem tausende von Panzern, Flugabwehrraketen, Kampfflugzeuge (in Berlin), Lokomotiven und Lkw für den Nachschub an die Front hergestellt. Jeder zehnte Flugzeugmotor in Nazi-Deutschland kam aus dem Werk in Altenbauna.
Darüber, was der Einsatz der Atomenergie bedeuten würde, waren sich die Verfasser des Henschel-Dossiers erschreckend klar. „Geradezu phantastische Auswirkungen hat die neue Energiegewinnungsart für die Probleme der Rüstung“, ist dort unzweideutig zu lesen. Von Skrupeln ist keine Rede.
Von Thomas Siemon