Interview: Psychologin erforscht Zusammenhang von Beruf und Eigenschaften

Kassel. Sage mir, welchen Job du hast und ich sage dir, wie du bist: Die Kasseler Psychologin Dr. Claudia Harzer erforscht, wie Charakter und Beruf zusammenhängen.
Wir sprachen mit der 34-Jährigen, die eine Vertretungsprofessur für Psychologische Diagnostik an der Uni Kassel hat.
Sie sind Psychologin und Wissenschaftlerin - was sagt mir das über Ihre Persönlichkeit?
Dr. Claudia Harzer: Bei Psychologen sind häufig Stärken wie soziale Intelligenz und Freundlichkeit hoch ausgeprägt. Wer in der Wissenschaft arbeitet, verfügt meist über Kreativität im Denken, Liebe zum Lernen und Urteilsvermögen. Hoffnung und Enthusiasmus zählen außerdem zu meinen stärksten Eigenschaften.
Kann man den Zusammenhang zwischen Charakter und Job in allen Berufsfeldern feststellen?
Harzer: In einer Studie, die in meiner Zeit in Zürich entstanden ist, haben wir für 173 Berufe sogenannte Stärkenprofile erstellt. Dafür sind mehr als 100.000 Teilnehmer mithilfe eines Fragebogens zu ihren Stärken befragt worden. In den Profilen sieht man gut, dass Beschäftigte bestimmter Berufe in einigen Eigenschaften oft übereinstimmend hohe Ausprägungen haben. Journalisten sind zum Beispiel kreativ und neugierig.
Bei welcher Berufsgruppe haben die herausgefundenen Eigenschaften Sie überrascht?
Harzer: Bei den Köchen. Die sind sehr bescheiden. Auch in handwerklichen Berufen ist Bescheidenheit stark ausgeprägt. Woran das liegt, kann ich nur vermuten. Vielleicht, weil Köche häufig ein Feedback bekommen. Wenn das Essen mal nicht gut ist, wird sich der Gast wahrscheinlich beschweren. Besonders viele Stärken haben übrigens Manager - denen fehlt allerdings die Bescheidenheit. Ein bescheidener Manager wäre wohl auch nicht erfolgreich.
Gibt es auch Schwächen, die mit dem Job zusammenhängen?
Harzer: Bestimmt. Aber das haben wir nicht untersucht. Wir haben mit einem in der Psychologie anerkannten Katalog von 24 Stärken gearbeitet. Das sind positive Eigenschaften wie Freundlichkeit, Weitsicht, Hoffnung, Humor, Dankbarkeit oder Teamarbeit.
Wie sind die Ergebnisse zu deuten: Sucht man sich einen Beruf aus, der zur Persönlichkeit passt? Oder formt der Beruf den Charakter?
Harzer: Dazu gibt es noch zu wenige Studien. In der Regel suchen sich Menschen ihren Beruf allerdings nicht zufällig aus. Es ist anzunehmen, dass es beispielsweise die eher Neugierigen sind, die sich für Journalismus entscheiden. Aber natürlich entwickelt man sich im Beruf auch weiter.
Also kann uns der Job auch charakterlich verändern?
Harzer: Ja, bei der Arbeit sammelt man Tag für Tag Erfahrungen. Dadurch kann man bestimmte Stärken vertiefen oder sogar auch erlernen. Denn Stärken bilden sich aus, wenn man die Möglichkeit hat, sie zu zeigen. Tapferkeit beispielsweise zeigt sich erst, wenn man mal eine Minderheitenmeinung gegen heftigen Gegenwind vertreten muss. Tapferkeit ist unter anderem bei Menschen in Führungspositionen wie Managern oder
Abteilungsleitern höher ausgeprägt.
Was ist, wenn Beruf und Eigenschaften nicht passen?
Harzer: Man wird sich dann im Job nicht so wohlfühlen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es gut ist, wenn man vier seiner Topstärken im Beruf einsetzen kann. Je höher die Passung, desto mehr wird ein Mensch den Beruf auch als Berufung erleben. Und desto besser wird in der Regel auch dessen Leistung von Vorgesetzten eingeschätzt. Kaum jemand wird es aushalten, auf Dauer einen Beruf auszuüben, der überhaupt nicht zur eigenen Person passt. Es sei denn, man erachtet die Arbeit als wenig relevant und sucht Erfüllung außerhalb des Jobs.
Gibt es auch Berufe, in denen die Persönlichkeit keine große Rolle spielt - etwa bei Fließbandarbeit?
Harzer: Das ist ein Vorurteil. Auch in Berufsfeldern, die eine geringere Qualifikation erfordern, spielt die Persönlichkeit eine Rolle. Raumpfleger zum Beispiel brauchen sicher Sinn für das Schöne und Liebe zum Detail. Auch Ausdauer ist eine Stärke, die man bei einer eher monotonen Tätigkeit am Fließband braucht.
Kann man Ihre Erkenntnisse für die Berufswahl nutzen?
Harzer: In der Schweiz werden sie bereits für die Studienberatung genutzt. Oftmals wird bei der Berufsorientierung vor allem auf Interessen und Kompetenzen geschaut - was natürlich auch wichtig ist. Aber es ist sinnvoll, auch die Persönlichkeit zu berücksichtigen. Das gilt übrigens ebenso für die Personalentwicklung in Unternehmen. Aktuell starten wir eine Datenerhebung zur Rolle von Stärken bei Berufsanfängern in der Pflege. Zu Beginn der Ausbildung und zu zwei späteren Zeitpunkten fragen wir ab, welche Azubis gut zurechtkommen und welche womöglich abbrechen.
An der Studie interessierte Gesundheits- und Krankenpflegeschulen können sich melden: c.harzer@uni-kassel.de
Zur Person
Dr. Claudia Harzer (34) ist seit einem Jahr Vertretungsprofessorin für Psychologische Diagnostik an der Uni Kassel. Die gebürtige Weimarerin hat in Bielefeld Psychologie studiert und 2012 in Zürich über die Bedeutung von Charakterstärken im Beruf promoviert. Nach einem längeren Forschungsaufenthalt in den USA lebt sie jetzt mit ihrem Lebensgefährten in Kassel.
Das sagt der Beruf über den Charakter aus:
Automechaniker: Bescheidenheit, Fairness, Freundlichkeit, Sinn für das Schöne und Exzellenz, Humor
Altenpfleger: Spiritualität, Fairness, Bescheidenheit, Vergebungsbereitschaft, Freundlichkeit
Ärzte: Liebe zum Lernen, Ausdauer, Neugier, Sinn für das Schöne und Exzellenz, Urteilsvermögen
Buchhalter: Bescheidenheit, Vorsicht, Ausdauer, Fairness, Ehrlichkeit
Einzelhandelsangestellte: Bescheidenheit, Spiritualität, Fairness, Humor, Sinn für das Schöne u. Exzellenz
Lehrer: Liebe zum Lernen, Sinn für das Schöne u. Exzellenz, Führungsvermögen, Bindungsfähigkeit, Fairness
Polizisten: Selbstregulation, Teamwork, Tatendrang, Hoffnung, Ehrlichkeit
Psychologen: Soziale Intelligenz, Liebe zum Lernen, Urteilsvermögen, Bindungsfähigkeit, Neugier
Rechtsanwälte: Urteilsvermögen, Liebe zum Lernen, Weitsicht, Soziale Intelligenz, Neugier
Schauspieler: Sinn für das Schöne und Exzellenz, Kreativität, Humor, Soziale Intelligenz, Tatendrang
Softwareentwickler: Liebe zum Lernen, Urteilsvermögen, Bescheidenheit, Vorsicht, Fairness