„Schnellstraßen fürs Denken“: Wie wir unser Gehirn trainieren können
In den Ferien ist Entspannung angesagt. Damit das Gehirn dabei nicht zu sehr aus der Übung gerät, starten wir heute eine fünfteilige Denk- und Knobelreihe.
Die Aufgaben hat die Kasseler Gehirn- und Gedächtnistrainerin Dr. Christiane Potzner zusammengestellt. Wir haben mit ihr gesprochen.
Wer keinen Sport macht, baut Muskeln und Kondition ab. Gilt das auch für unser Gehirn: Wer nicht trainiert, verliert an Fitness?
Dr. Christiane Potzner: Richtig. Wenn man das Gehirn nicht fordert, baut es ab. Die Nervenverbindungen werden schwächer, und die Gehirnzellen werden ohnehin im Zuge des Alterungsprozesses weniger. Man sollte das Gehirn also bloß nicht schonen: Dann verliert es an Leistungsfähigkeit.
Also machen alte Leute es intuitiv richtig, wenn sie Sudoku und Kreuzworträtsel machen?
Potzner: Im Prinzip schon. Allerdings werden bei Kreuzworträtseln oder Wortsuchspielen nur bestimmte Bereiche des Gehirns aktiviert, in dem Fall der Bereich für Sprachverarbeitung. Andere kognitive Bereiche profitieren nicht davon. Daher ist eine gute Mischung bei Denk- und Knobelaufgaben wichtig, sodass alle Gehirnregionen aktiviert werden und unsere geistige Fitness insgesamt gefördert wird.
Wie funktioniert das Gehirn?
Potzner: Unser Gehirn ist ein aktives Organ. Es verarbeitet Sinneswahrnehmungen, steuert unser Herz-Kreislauf-System und alle Funktionen des Körpers. Und es ist unser Bewusstsein, mit dem wir denken. Das funktioniert, indem elektrische Impulse zwischen den Gehirnzellen (Neuronen) fließen und die Nervenzellen so verknüpfen. Wir besitzen bis zu 80 Milliarden Neuronen und bis zu eine Billion Synapsen – das sind die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen. Die Oberfläche aller Neuronen ist umgerechnet so groß wie acht Fußballfelder. Unser Gehirn hat eine enorme Kapazität.
Nicht nur die Zellen, sondern die Verbindungen dazwischen sind also wichtig?
Potzner: Genau, die Synapsen. Immer wenn wir etwas lernen, bilden sich diese Verknüpfungen zwischen Nervenzellen oder werden verstärkt. Je verzweigter unser Nervenzell-Netzwerk ist, desto besser und schneller können wir denken. Man kann sich das vorstellen wie ein Verkehrsnetz: Je mehr Schnellstraßen es gibt, je mehr Kreuzungen und Kreisel, desto schneller komme ich von A nach B.
Welche Bedeutung haben die verschiedenen Hirnregionen?
Potzner: Lernfähig ist nur das Großhirn, das – vereinfacht gesagt – den Hirnstamm im Innern umgibt. Das Großhirn ist in vier Bereiche eingeteilt, die sogenannten Gehirnlappen. Jeder Bereich hat unterschiedliche Funktionen, zum Beispiel für Sprache, visuelle Wahrnehmung, Gedächtnis und komplexes Denken. Je nachdem, was gefordert ist, sind die verschiedenen Gehirnbereiche besonders aktiv. Jeden Tag werden neue Gehirnzellen und Synapsen als Schaltareale zwischen den Zellen gebildet, sodass an unserem Wissensnetz ständig weitergewoben wird.
Was bedeutet das fürs Lernen?
Potzner: Je mehr Sinne man beim Lernen benutzt, desto besser. Denn dann werden mehr Gehirnregionen angesprochen, und das gespeicherte Muster im Gehirn ist umso größer. Dadurch steigt das Erinnerungsvermögen. Es ist also gut, wenn man beim Lernen mit Text und Bildern arbeitet, aber auch etwas schreibt. Auch das sprichwörtliche Lernen im Schlaf gibt es übrigens.
Das müssen Sie erklären.
Potzner: Im Schlaf räumt unser Gehirn auf. Stoffwechselabbauprodukte werden abtransportiert, Erlebnisse und Gefühle vom Tag verarbeitet. Bei diesem nächtlichen Ausmisten strukturiert sich das Gehirn neu. Das nennt man Neuroplastizität. Wenn man nun vor dem Schlafengehen etwas liest oder anschaut, ist es ganz frisch und bleibt besser erhalten. Im Schlaf werden die aufgenommenen Informationen an der richtigen Stelle verankert.
Bringen eigentlich Denk- und Knobelaufgaben auch etwas fürs Gehirn, wenn man die Lösung nicht findet?
Potzner: Ja, denn man hat sich ja Gedanken gemacht und die Nervenzellen angeregt. Nur blieb das Erfolgserlebnis aus. Wenn ich die Aufgabe auch löse, wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet. Das ist eine Art Turbolader im Gehirn. Es verstärkt die Verbindungen der Nervenzellen und kann auch Alterungsprozesse im Gehirn verlangsamen. Man sollte beim Knobeln also nicht so schnell aufgeben.
Zur Person: Dr. Christiane Potzner

Dr. Christiane Potzner (48) ist promovierte Arbeitswissenschaftlerin. Die gebürtige Lübeckerin hat in Kassel studiert und ist heute an der Uni Kassel in der Verwaltung und als Lehrbeauftragte beschäftigt. Zudem ist sie freiberuflich über ihre Firma „Brain Speed“ tätig und bietet Kurse und Vorträge zum Thema Gehirn und Gedächtnis an. Neben Lern- und Merktechniken ist eines ihrer Spezialgebiete Schnelllesen (Speed Reading). Darauf kam sie vor zehn Jahren während ihrer eigenen Doktorarbeit, als die Literatur sich auf ihrem Schreibtisch stapelte. Geschwindigkeit fasziniert Christiane Potzner nicht nur beim Lesen und Denken: Sie ist auch begeisterte Motorradfahrerin. Als Rennsport-Instruktorin trainiert sie Motorradfahrer – dieses Wochenende ist sie auf dem Hockenheimring unterwegs. Potzner ist ledig und lebt in Kassel.