documenta auch in Athen - ein Pro und Kontra

Kassel. Die documenta 14 im Jahr 2017 wird gleichberechtigt in Kassel und Athen stattfinden – mit dieser Überraschung wartete der künstlerische Leiter Adam Szymczyk am Montag auf. Ist das eine gute Idee? Ein Pro und Kontra.
Pro: Neue Perspektiven

documenta in Athen - das werde auch Gefühle des Verlusts, der Sehnsucht auslösen, prophezeit Adam Szymczyk. Die Verlagerung ist eine Provokation, eine Art narzisstische Kränkung der Kasseler. Sie erzeugt aber ebenso produktive Verunsicherung. Die Verdoppelung wird dazu beitragen, die documenta neu zu verorten, den Blick anders zu justieren. Genau das ist die Aufgabe des künstlerischen Leiters. Wie sehr er auch Kassel einbinden will, zeigte die Form seiner Präsentation – bewusst in der Kunsthochschule. Doch die Gastgeberrolle allein sei nicht mehr haltbar, sie verlange geradezu nach einer Infragestellung, formuliert Szymczyk. Er will Kassel, die Kunstszene, den Markt aus ihrer saturierten Erstarrung reißen. An die Vorstellung einer allein lokalen Verwurzelung glaubt der Pole, der bislang in Basel arbeitete, sowieso nicht. Athen, dieser Krisenschauplatz mit reicher Geschichte, ist eine plausible Wahl. Vom Rechtspopulismus bis zur Flüchtlingsdramatik: Dort sind Spannungen zwischen Nord und Süd greifbar, dort liegen Wurzeln unserer Kultur. Was geht uns Athen an? Eine ganze Menge. Die Welt wächst zusammen, der Horizont weitet sich. Jetzt müssen für 2017 nur noch Shuttleflüge Calden-Athen eingerichtet werden. Von Mark-Christian von Busse
Kontra: Kein gutes Zeichen

Für manchen Kasseler ist das ein Albtraum: Die nächste documenta wird nicht in Nordhessen eröffnet, sondern in Athen. Manche sagen: „Jetzt nimmt uns der Pole die documenta weg.“ Das ist kleingeistig, trotzdem darf man Adam Szymczyks Konzept, die Weltkunstschau an zwei gleichberechtigten Orten stattfinden zu lassen, kritisch hinterfragen. Man stelle sich vor, die Biennale von Venedig, das zweite große Kunstereignis, würde parallel in London stattfinden. Die Venezianer wären sicher not amused. Und die documenta ist für Kassel noch einmal sehr viel wichtiger als die Biennale für Venedig. Kassel wird an Bedeutung einbüßen. Vielleicht wird die documenta sogar einen Teil ihrer Identität verlieren, wenn sie nun gleichzeitig in einer Metropole stattfindet. Denn ihr Reiz war bislang auch, dass die ganze Kunstwelt alle fünf Jahre in die Provinz kam. An Orte, die die globale Gemeinschaft sonst nicht wahrnimmt. Logistisch wird die documenta 14 in jedem Fall ein schwer zu bewältigendes Kunststück werden. Passt dieser Gigantismus noch in eine Zeit, in der andere Großveranstaltungen wie etwa die in Griechenland erfundenen Olympischen Spiele von immer mehr Menschen infrage gestellt werden? Von Matthias Lohr
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