1. Startseite
  2. Kultur
  3. documenta

documenta: Künstlerin erklärt Hintergründe ihres Werks "Parthenon der Bücher"

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Bettina Fraschke

Kommentare

null

Kassel. Mit einem spektakulären Kunstwerk auf dem Kasseler Friedrichsplatz schlägt Marta Minujín den Bogen zwischen den documenta-Standorten Athen und Kassel.

Die argentinische Künstlerin baut einen „Parthenon der Bücher“ in der Originalgröße des antiken griechischen Tempels und sammelt dazu 100 000 einst verbotene Bücher. Beim Gespräch im englisch-französischen Sprachmix holt sie Kurator Pierre Bal-Blanc aus dem documenta-Team teilweise dazu. Die verspiegelte Ray-Ban-Brille nimmt die 73-Jährige nicht ab.

Sie realisierten ein ähnliches Projekt aus Büchern in Argentinien 1983 nach der Militärdiktatur. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit der Unterdrückung?

Marta Minujín: Künstler zu sein war verboten. Ich lebte in New York, aber wenn ich nach Argentinien kam, durfte ich nie sagen, dass ich Künstlerin bin. Sonst nahmen sie dich in einen speziellen Raum mit, verhörten dich. Schon wer einen Bart oder eine Brille trug, war verdächtig. Das war sehr schlimm.

Erinnern Sie sich, inwiefern Bücher verfügbar waren?

Minujín: Sie waren nicht erhältlich. Viele Besitzer von Buchläden, Schriftsteller, Mitglieder der Kunsthochschule verschwanden. Es hieß, man darf niemals seinen Namen in ein Notizbuch schreiben.

Als die Demokratie sich durchsetzte, entwickelten Sie die Idee, einen Parthenon der Bücher zu bauen. Wie ging das?

Minujín: Die Menschen waren so glücklich, dass nun Demokratie herrschte, viele ermöglichten mir, das Projekt zu verwirklichen. Ohne Etat.

Wie haben Sie das angepackt?

Minujín: Ich habe als erstes Firmen um Hilfe gebeten. Dann habe ich den Präsidenten der argentinischen Buchmesse angesprochen und Verlage, die geschlossen waren. Die hatten Bücher über Jahre im Keller versteckt und mir zur Verfügung gestellt. Ich habe das Projekt mit vielen Unterstützern mitten in Buenos Aires gebaut - ohne Genehmigung. Eine Woche lang. Zu der Zeit kurz nach den Wahlen gab es quasi keine Regierung. Es war weltweit in den Medien, Leute konnten nicht glauben, dass so ein Projekt ohne Geld erstellt werden konnte.

Wie sehen Sie die Informationsfreiheit heute, wo das Internet Freiheit verspricht?

Minujín: Weiterhin gibt es weltweit viel Zensur.

Wie schätzen Sie den Stellenwert des Buches ein, in unseren Zeiten, wo vieles online veröffentlicht wird?

Minujín: Es ist ganz anders, in einem Buch zu lesen als auf dem Tablet. Wenn ich den Parthenon aufbaue, entsteht ein vielfarbiges

Lesen Sie auch: Grundstein für documenta-Kunstwerk "Parthenon der Bücher" gelegt

Bild aus Büchern. Bücher an sich, als wunderschöne Gegenstände, erzeugen Neugier auf das, was in ihnen ist. Menschen brauchen Geduld, um sie sich zu erschließen. Und Verständnis. Bücher sind die Vehikel der Kultur. Kultur ist sehr wichtig, denn man muss informiert darüber sein, was in der Welt vor sich geht, um seine Persönlichkeit zu entwickeln und für sich selbst einzustehen.

Die junge Generation wächst heute mit dem Internet, mit sozialen Medien auf, viele geben persönliche Informationen dort leichtfertig her. Wie kann man hier Bewusstsein für Zensur und Unterdrückung schaffen?

Minujín: Eher nicht in den sozialen Medien. Sondern konkret. Etwa mit Kunst.

Was bedeutet Ihnen die Einladung zur documenta?

Minujín: Ich bin sehr glücklich. Sie ist besser als alles andere in der Welt, als all die Biennalen und Kunstmessen. Das ganze Kaufen und Verkaufen dort zerstört die Idee, was Kunst ist. Mit so etwas hat documenta nichts zu tun.

Ein Konzept der documenta 14 ist der Austausch mit Athen. Planen Sie dafür auch eine Arbeit?

Minujín: Ja, wir bereiten etwas vor.

Bauen Sie dort das Fridericianum aus Büchern nach?

Minujín: Nicht schlecht überlegt. Das Projekt wird ähnlich sein wie meine Arbeit für Kassel. Hier schaffen wir etwas sehr Griechisches, dort etwas sehr Deutsches. Ein Dialog.

Heißt das, Sie greifen das derzeit in der Politik viel debattierte Thema auf, dass Objekte der antiken griechischen Kultur, die einst ins westliche Ausland gebracht worden sind, dringend zurückgefordert werden?

Minujín: Richtig. Ich nehme ein Objekt aus Deutschland nach Griechenland mit. Welches, ist noch geheim.

Mitmachen

Bücher, die verboten waren oder es in einigen Ländern noch sind, können persönlich abgegeben oder per Post nach Kassel geschickt werden (documenta 14, Stichwort: The Parthenon of Books), Friedrichsplatz 18, 34117 Kassel. Unterstützer werden gebeten, ein Formular auf documenta14.de auszufüllen und beizulegen.

Im Verlauf des Projekts entsteht in Zusammenarbeit mit der Uni Kassel eine Liste verbotener Bücher, die auf der documenta-Website veröffentlicht wird. Das sind die Bücher, die angenommen werden. Derzeit umfasst sie bereits 60 000 Titel.

Falls die Spende mehr als 500 Kilogramm wiegt, bittet die documenta um Benachrichtigung vor dem Versand. Informationen: Tel. 0561/70727727,

books@documenta.de

Mehrere Kasseler Buchhandlungen und Antiquariate unterstützen das documenta-Projekt. Bücher können auch dort abgegeben werden.

• Hofbuchhandlung Vietor, Ständeplatz 17

• Buchhandlung Vogt, Friedrich-Ebert-Straße 31

• unibuch, Gottschalkstr. 8

• Buchhandlung am Bebelplatz, Friedrich-Ebert-Straße 130

• Antiquariat & Verlag Winfried Jenior, Marienstraße 5

• Brencher Buchhandlung, Wilhelmshöher Allee 273

• Café Buch-Oase, Germaniastraße 14

Zur Person

Marta Minujín (73, verheiratet, zwei Kinder), geboren 1943 in Buenos Aires, studierte bildende Kunst und Kunstpädagogik in Buenos Aires, ehe sie Anfang der 60er-Jahre nach Paris ging. Dort arbeitete sie an einer Serie von Plastiken aus umgestalteten, miteinander vernähten und in grellen Farben bemalten Matratzen. 1966 erhielt sie ein Guggenheim-Stipendium. Später lebte und arbeitete sie in New York, heute wieder in Buenos Aires. Minujín arbeitet in vielseitigen Medien. Sie beschäftigte sich vielfach mit repressiven Regimes, darunter der Diktatur in ihrer Heimat, sowie Büchern und ihrer Verfügbarkeit als Ausweis demokratischen Denkens.

Auch interessant

Kommentare