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Lori Waxmans Kunstkritik: Bert Praxenthaler

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Die Chicagoer Kunstkritikerin Lori Waxman rezensiert auf der documenta 13 öffentlich Kunst von jedermann. Etablierte Künstler, Studierende, Hobbymaler - sie alle können nach vorheriger Terminabsprache Werke in Waxmans blauer Hütte an der Schönen Aussicht vorbeibringen.

60 Worte pro Minute Kunstkritik60 WRD/MIN ART CRITIC
Vermögen Kunstwerke zu leiden? Können sie verletzt werden? Bert Praxenthaler ist ebenso Künstler wie auch Kunstrestaurator, der in Afghanistan für die UNESCO arbeitet, und seine doppelte Praxis scheint derlei nahe zu legen. Tagsüber kümmert sich Praxenthaler um die Buddhas von Bamiyan, die von den Taliban im Jahr 2001 zerstört wurden. Neben dieser mühsamen Arbeit hat er eine Serie geschaffen, die er die „Mujaheddin Prints“ nennt, und die der Schmähung ein Kunstwerk abringen. Unweit des östlichen Buddhas fotografierte Praxenthaler eine prächtige, hoch gewölbte Höhle, die über die Jahrhunderte hinweg geschwärzt wurde vom Rauch der Kochstellen, die in ihr errichtet worden waren. In den frühen 90er Jahren war der gesamte Innenraum mit schmutzigen Schuh- und Stiefelabdrücken übersät. Er folgerte, dass diese Abdrücke von arabischen Mudschahidin oder anderen Guerillakämpfern hinterklassen worden waren, die sich schon vor dem Aufstieg der Taliban an die Macht in diesem Gebiet aufgehalten hatten, denn der Schmutz an den Schuhsohlen stellt für Araber eine Beleidigung dar, nicht so jedoch für die Perser. Die so entstandenen Fotografien sind dunkel und gespenstisch, eine Symphonie der Beschädigung und des Missverständnisses. „Ei I“ eine geschnitzte Holzskulptur mit der Zerbrechlichkeit und einer Oberflächenbehandlung, die dem Porzellan gleichkommen, macht den Eindruck, als hätten sie Einschüsse mit Wunden übersät, elegant an der Außenseite, doch roh und ausgeweidet in ihrem Inneren. Spürt die Höhle den Schmerz? Spürt ihn der Fotograf? Die Skulptur des Eis? Vielleicht. Doch keinen Zweifel gibt es darüber, dass es uns, die Betrachter, schmerzt, wenn wir unseren Blick darauf richten. — Lori Waxman, 9. Juni 2012, 13.59 UhrDo artworks suffer? Can they sustain insults? The dual practices of Bert Praxenthaler, an artist who is also an art restorer working in Afghanistan with UNESCO, seems to suggest that they do. In his day job, Praxenthaler cares for the Bamiyan Buddhas, which were destroyed by the Taliban in 2001. Alongside this painstaking work, he has created a series called the “Mujaheddin Prints,” which make a found artwork out of defamation. Near the Eastern Buddha, Praxenthaler photographed a beauty of a cave, tall and arcaded, blackened by hundreds of years of cooking fires. In the early 1990s it was covered from floor to ceiling by dirty shoe and boot prints. He deduced that they had been left by Arab mujahideen, or guerilla fighters, since they predated the Taliban’s rise to power, but also because the dirt under one’s shoes is an Arabic slur, not a Persian one. The resulting photographs are dark and ghostly, a symphony of injury and misunderstanding. “Egg I,” a carved wooden sculpture with all the fragility and finish of porcelain, looks as if ridden by bullet wounds, elegant on the outside but raw and gutted within. Does the cave feel pain, does the photograph, does the sculpture of the egg? Perhaps. But ultimately, it is we viewers who must ache as we gaze on them. —Lori Waxman 6/9/12 1:59 PM 

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Zur Person

Lori Waxman
Lori Waxman. Kontakt und Anmeldung zur Kunstkritik über die E-Mail: critic@60wrdmin.org

Lori Waxman (36, geboren in Montreal) ist freie Kritikerin unter anderem für die "Chicago Tribune" und "Art Forum". Sie lehrt am School of the Art Institute in Chicago. Sie hat in Montreal, Chicago, Lancaster und New York Kunstgeschichte studiert und an der New York University promoviert. Waxman hat auch Essays, Katalogbeiträge und Bücher veröffentlicht. Waxman ist verheiratet und Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter. (vbs)

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