Lori Waxmans Kunstkritik: Rose Marie Gnausch

Die Chicagoer Kunstkritikerin Lori Waxman rezensiert auf der documenta 13 öffentlich Kunst von jedermann. Etablierte Künstler, Studierende, Hobbymaler - sie alle können nach vorheriger Terminabsprache Werke in Waxmans blauer Hütte an der Schönen Aussicht vorbeibringen.
60 Worte pro Minute Kunstkritik | 60 WRD/MIN ART CRITIC | |
Zwei Tage lang haben sich im Jahr 2009 etwa achthundert Elefanten an der Grenze zwischen dem griechischen und türkischen Landesteil von Zypern zu einer ungewöhnlichen Kundgebung für den Frieden versammelt. Im Verlauf der nächsten zwei Jahre marschierten große Gruppen von Elefanten durch das Brandenburger Tor in Berlin, versammelten sich in der Stadt Oswiecim und an anderen Orten. Es handelte sich dabei selbstverständlich nicht um echte Elefanten, sondern um ausgestopftes Spielzeug, Papiermachéskulpturen, Tücher, Malereien und andere Darstellungen, die Kinder und Erwachsene, Künstler und Laien vor Ort und nach Anfrage von Rose Marie Gausch hergestellt hatten. Ganz selbständig entschied sich diese dazu, den Symbolismus des größten Landlebewesens, das für gewöhnlich Glück und Reichtum verspricht, für den Frieden umzuwidmen. Als gesellschaftspolitische Initiative ist das äußerst entwaffnend. Welcher Zöllner oder Stadtbeamte kann schon etwas so geniales wie einen Spielzeugelefanten zurückweisen? Auf der symbolischen Ebene selbst ist diese Geste noch herausfordernder, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Obwohl die Elefanten eine der ältesten und klügsten Tierarten dieser Welt sind, wurde im Zuge der letzten paar hundert Jahre ihre Population durch die menschliche Entwicklung erheblich reduziert. Als intelligentes, gefühlvolles Matriarchat mit langer Erinnerung, gäbe ihre Lebensform profundes Beispiel, hätte man sie nicht beinahe völlig ausgerottet. Wir schulden ihnen den Frieden in weit höherem Maß, als sie ihn uns schulden. — Lori Waxman, 23. Juli 2012, 16.07 Uhr | For two days in 2009, some eight hundred elephants gathered together on the border between Greek Cyprus and Turkish Cyprus to make an unusual stand for peace. Over the next two years, other large groups of elephants have paraded through the Brandenburg Gates in Berlin, assembled in the town of Oswiecim, and been in other sites besides. They are not real elephants of course, but stuffed toys, papier mâché sculptures, scarves, paintings and other representations donated by local children and adults, artists and laypeople, at the request of Rose Marie Gnausch, who has single-handedly decided to change the symbolism of the largest living land animal from luck and wealth to peace. As a socio-political initiative, her gesture could not be more disarming. What border guard or city official could refuse something as genial as a toy elephant? At the level of the symbolism itself, it is more challenging than it at first seems. Though they are some of the oldest and wisest animals on the planet, elephants have over the past few hundred years seen their lives greatly diminished by human development. As an intelligent, sensitive matriarchy with long memories, their way of life would be the most profound of models, were it not nearly extinct. We owe them peace, more than they owe it to us. —Lori Waxman 7/23/12 4:07 PM |
Serie
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Zur Person

Lori Waxman (36, geboren in Montreal) ist freie Kritikerin unter anderem für die "Chicago Tribune" und "Art Forum". Sie lehrt am School of the Art Institute in Chicago. Sie hat in Montreal, Chicago, Lancaster und New York Kunstgeschichte studiert und an der New York University promoviert. Waxman hat auch Essays, Katalogbeiträge und Bücher veröffentlicht. Waxman ist verheiratet und Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter. (vbs)