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Fluch für Deutschlands Innenstädte?

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Welche Rolle spielen Onlineshops heute in Deutschland, Herr Winkler?

Holger Winkler: 2011 wurden in Deutschland Waren im Wert von 25 Milliarden Euro online verkauft. Für 2015 liegen die Prognosen bei circa 35 Milliarden Euro. Online einzukaufen hat sich demnach in Deutschland inzwischen etabliert. Und alle Signale sprechen dafür, dass die Verbraucher auch zukünftig eher mehr als weniger online shoppen werden.

Wer kauft denn online und was wird gekauft?

Winkler: Aus einer Befragung von 2009 wissen wir, dass es praktisch keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt. Über 80 Prozent aller, die im Internet unterwegs sind, kaufen auch online. Dabei sind es insbesondere die 20 bis 59 Jährigen, die aktiv online einkaufen und die 40 bis 49 Jährigen stellen die stärkste Käufergruppe. Gekauft werden in erster Linie Eintrittskarten, Bücher, Kleidung, Musik sowie Reisen und Flugtickets. Über die 12 Monate des Jahres 2011 hinweg gab ein deutscher Onlinekäufer durchschnittlich 900 Euro aus.

Deutschland ist damit auch beim Onlineshopping führend in Europa?

Winkler: Nein, keinesfalls. Wir befinden uns im Mittelfeld. Die Dänen sind im europäischen Vergleich die aktivsten Onlinekunden, sie geben doppelt so viel jährlich aus wie wir. Auch noch deutlich vor uns liegen Großbritannien, Norwegen, die Schweiz und Frankreich. Gleichauf mit uns sind in etwa Italien, Schweden und Spanien. Das europäische Schlusslicht im Onlineshopping stellt gegenwärtig Polen dar.

Onlinehandel wird in Deutschland häufig als Bedrohung für den Einzelhandel und auch für belebte Innenstädte gesehen. Was ist dran am schlechten Image?

Winkler: Neues bedroht immer Bestehendes, sobald es nur bei genügend Menschen Interesse findet, egal ob in der Politik, der Technik oder auch dem Handel. Insofern ist die Angst im klassischen Einzelhandel, bei den etablierten Katalogversendern, aber auch bei den Abholmärkten auf der grünen Wiese längst angekommen und mehr als berechtigt.

Dies ist aber nur die eine Seite der Wahrheit. Wir sehen täglich in der Praxis, dass der Onlinehandel unzähligen Menschen Chancen bietet, die noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wären. Und dies gilt auch für den Einzelhandel und viele Teile des Handwerks, sowie grundsätzlich für alle, die mit ihrem Kopf bisher klassisch Geld verdient haben. Vorausgesetzt, die Herausforderung wird angenommen…

Der Einzelhandel profitiert vom Onlinehandel?

Winkler: Wir kennen Unternehmer aus Einzelhandel, Handwerk und Produktion, deren Existenz heute bereits ganz maßgeblich auf rentablen Online-Vertrieb setzt. 35 Prozent der befragten Händler, die neben einem Ladengeschäft auch einen Onlineshop betreiben, gaben zum Beispiel 2010 an, dass ihre Umsätze im Onlineshop deutlich höher sind als im Ladengeschäft. Wer es online richtig macht, spezialisiert sich. Und kann damit viel mehr Kundschaft über das Internet erreichen und überzeugen, als er mit seinem Ladengeschäft, einer etablierten Vertriebsmannschaft oder dem regionalen Wirkungskreis in der Vergangenheit je erreichen konnte. Dieses Potenzial steht jedem offen.

Ist dies nicht Wunschdenken? Im Onlinehandel profitieren wenige Große…

Winkler: Es kommt darauf an. Geschätzte 90 Prozent aller Online-Gründungen scheitern beziehungsweise werden nie profitabel. Insofern haben Sie recht, was das Wunschdenken vieler Online-Gründer angeht. Sieht man sich aber auf der anderen Seite die Rangliste der 10 größten deutschen Onlineshops an, die in Deutschland die meisten Umsätze erwirtschaften, finden sich darunter gleich zwei mittelständische Unternehmen. Im Jahr 2010 waren dies konkret das Musikhaus thomann.de mit geschätzten 345 Millionen Euro sowie notebooksbilliger.de mit 325 Millionen Euro Online-Umsatz. Zwei mittelständische Unternehmen, die einfach die Zeichen der Zeit erkannt haben.

Was sollte ein potenzieller Onlinehändler also unbedingt beachten?

Winkler: Nicht den Umsatz, sondern den Ertrag als Maß der Dinge zu betrachten. Es klingt banal, aber Sie können es innerhalb weniger Wochen über eBay oder amazon schaffen, dass Ihre Spedition zweimal täglich bei Ihnen vorfährt und lastwagenweise Ihre Päckchen abholt - was nach richtig tollem Erfolg aussieht. Aufgrund versteckter Folgekosten und hohen Verkaufsprovisionen hält sich der erzielbare Gewinn über diese Plattformen aber in sehr engen Grenzen - und ruckzuck schickt der Händler bei jeder Sendung Geld mit. Bis man dies merkt, dauert es häufig eine ganze Weile. Schließlich steigt zunächst sowohl der Umsatz als auch das Versandvolumen von Monat zu Monat in ungeahnter Weise und die laufenden Betriebskosten sind minimal. Wer dann aber gegensteuern und den Hauptabsatz über einen eigenen Onlineshop abwickeln will, für den gelten auf einmal vollkommen anderen Spielregeln. Deutlich höhere Betriebs- und Vermarktungskosten sowie deutlich mehr Vermarktungs-Kompetenz werden dann erforderlich. Exakt an diesem Punkt trennt sich die Spreu vom Weizen im Onlinehandel. Deshalb sollte man vor dem Beginn sehr genau analysieren, wo und wie der Online-Erfolg gelingen kann, was häufig viel einfacher ist als angenommen, da unendlich viele Daten über das Verhalten und die Bedürfnisse der Internetnutzer vorliegen. Anschließend sollte man die eigene Strategie Schritt für Schritt umsetzen, lieber zu langsam als zu schnell - und immer aus eigenen finanziellen Mitteln. NH L

E Buchtipp: Holger W. Winkler: Onlinehandel mit Erfolg, Band 1 - Marktnischen finden. ISBN: 978-3-942121-00-2

E Informationen: www.onlinehandel-mit-erfolg.de

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