Wandern bis nach Polen

Hann. Münden. Mit jedem Schritt, sagt Klaus Lüttgen, spüre er das Gewicht: sein eigenes und das seines gut 20 Kilogramm schweren Rucksacks. Vor allem abends, wenn die Beine ohnehin schwer werden, bringe ihn das an seine Grenzen. „Dann denke ich, dass ich anstatt 34 lieber 24 Kilometer am Tag gelaufen wäre“, sagt der 54-Jährige.
Lüttgen kommt aus einer Stadt nahe Köln und reist von seinem Wohnort bis in die Stadt Goldap im Nordosten Polens, um das Heimatland seiner Mutter kennenzulernen – zu Fuß in gut dreieinhalb Monaten. Zwischen 1700 und 2000 Kilometern wird er hinter sich gelassen haben, wenn er sein Ziel erreicht, „je nachdem, wie oft ich mich verlaufe“, sagt der drahtige Mann und lacht. Schon im Sauerland sei er im Kreis gegangen.
„Ich möchte nachempfinden, was es bedeutet, Heimat zu spüren.“
Klaus Lüttgen
Abschrecken lässt er sich davon nicht. Anstatt durch Wald und Flur hält er sich ab Hann. Münden, wo er Station gemacht hat, an die Bundesstraße. „Die Natur ist mir zwar lieber, aber ich möchte ja auch vorankommen“, erklärt der gelernte Monteur und schiebt hinterher: „Und ankommen.“ Denn Polen ist für ihn nicht irgendein Staat, sondern dass Heimatland seiner Mutter. „Ich möchte kennenlernen, wo sie aufgewachsen ist, möchte nachempfinden, was es bedeutet, Heimat zu spüren.“
Sehnsucht nach Polen
Deshalb durchquert er Polen bis nach Goldap, bevor er kehrt macht und sich auf den Weg zu einem Ort im Landesinneren begibt, in dem seine Mutter aufgewachsen ist.
Die Sehnsucht, die Heimat seiner Mutter zu sehen und zu erleben, ist groß: Gestorben, als Lüttgen erst vier war, kann er sich kaum an seine Mutter erinnern. Kennenlernen möchte er sie deshalb auf anderem Weg: indem er durch ihre ehemalige Heimat läuft, sich mit den Menschen anfreundet, die während des Zweiten Weltkrieges nicht geflohen, sondern geblieben sind.
Besonders gespannt ist Lüttgen, dessen Augen beim Erzählen anfangen zu leuchten, auf eine 96-jährige Frau im Heimatort seiner Mutter: „Durch meine Vorbereitung auf die Reise habe ich erfahren, dass sie mir etwas über sie sagen könnte.“
Zeit für sich
Doch Lüttgen nutzt die Zeit auch, um sich „zu entschleunigen“: In der heutigen schnellen Zeit verliere man sich sonst selbst.“ Während der langen Zeit des Alleinseins auf der Reise möchte sich Lüttgen deshalb wieder „gerade rücken“. Ausgestattet mit Kameras, einem Zelt, viel Wasser und wenig Kleidung wird das gelingen, ist sich Lüttgen sicher: „Mit einfachen Mitteln möchte ich viel erreichen.“
Von Constanze Wüstefeld