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Eklat beim Spiel des SV Türkgücü: So erlebte Schiedsrichter Lecke die Situation

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Von: Thomas Walger

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Der Auftakt zur Rudelbildung: Sekunden später war Tobias Lecke von einer Menschentraube verschlungen. Archivfoto:  Konklowsky
Der Auftakt zur Rudelbildung: Sekunden später war Tobias Lecke von einer Menschentraube verschlungen. © Archivfoto:  Konklowsky

Bebra. Drei Monate ist er her, ein Tag, den kein Schiedsrichter erleben möchte. In einem Spiel des SV Türkgücü gerät die Situation außer Kontrolle. Wir haben mit Schiedsrichter Tobias Lecke noch einmal darüber gesprochen.

„Der wird’s mal weit bringen.“ Oder: „Der Tobi schafft es in die Bundesliga.“ Solche Sätze fallen, wenn über Tobias Lecke gesprochen wird.

Der junge Mann aus dem nordhessischen Bebra (Kreis Hersfeld/Rotenburg) gilt als großes Talent unter den Fußball-Schiedsrichtern der Region. Sein Aufstieg verlief rasant in den vergangenen Jahren. Kurz vor seinem 20. Geburtstag am 16. März dieses Jahres hatte er den Aufstieg in die Verbandsliga in der Tasche. Kürzlich erhielt er die Nachricht, dass er in der Junioren-Bundesliga als Assistent eingesetzt wird.

Es gab aber auch einen Tag im Leben des Tobias Lecke, den 28. März 2016, von dem er sagt: „Was ich in Weidenhausen erlebt habe, das möchte man als Schiedsrichter nicht erleben.“ In der zweiten Halbzeit des Gruppenliga-Heimspiels des SV Adler Weidenhausen II pfiff er einen Handelfmeter gegen Gast SV Türkgücü Kassel. Da brach das Unheil los, das in einen Spielabbruch und polizeiliche Ermittlungen wegen Körperverletzungen mündete. Mehrere Personen mussten in Krankenhäusern behandelt werden.

„Um mich herum bildete sich plötzlich eine Traube von 20, 25 Leuten. Ich kam da nicht raus, und von außen kam auch keiner rein, um mir zu helfen“, erinnert sich Tobias Lecke. Er wurde im Gerangel beschimpft und geschubst. Jeden Moment rechnete er damit, einen Schlag an den Kopf zu bekommen. Er konnte den Polizisten später nicht einmal sagen, wie lange er in dieser Menschentraube eingeschlossen und wie er ihr schließlich entkommen war.

Mit der Verarbeitung dieses Albtraums begann Tobias Lecke wenige Minuten später sofort in der Kabine. Er schrieb und schrieb, notierte im Schiedsrichterbericht alles, was er gesehen hatte. Dann ging er erst mal unter die Dusche. Danach suchte er nicht etwa das Weite, sondern setzte sich - wie nach dem Abpfiff üblich - im Sporthaus an einen Tisch und aß etwas. Allerdings mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Während der Heimfahrt blickte er im Auto immer wieder in den Rückspiegel. Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, dass ein Schiedsrichter nach einem Spiel verfolgt wird.

„Zu Hause war mein Körper noch voller Adrenalin. Da kann man sich nicht ruhig hinsetzen, Fernsehen gucken oder ein Buch lesen“, erzählt Tobias Lecke. Stattdessen spielte er mit Freunden am Computer. Das half.

Auf Zeichen jetzt achten 

Inzwischen begreift er die Vorfälle von Weidenhausen auch als Chance, sich weiterzuentwickeln. „Das ist eine wichtige Erfahrung. Für mich kam diese Rudelbildung fast aus dem Nichts. Aber solch eine Eskalation entsteht ja nicht einfach so. Da gibt es Signale,aber die hab’ ich nicht gesehen.“ In Zukunft will er genauer auf solche Anzeichen achten - und gegensteuern.

In den turbulenten Tagen nach den Tumulten wurde Tobias Lecke ein paar Mal gefragt, ob er jetzt mit dem Pfeifen aufhören werde. Vor drei, vier Jahren hätte er sich das vielleicht auch gefragt, räumt er ein. Jetzt aber hat er ans Aufhören keinen Gedanken verschwendet. „Schiedsrichter zu sein, gehört zu meinem Leben“, sagt er.

Zur Person:

Tobias Lecke (20) ist im Bebraer Stadtteil Gilfershausen aufgewachsen. Er studiert Elektrotechnik an der Kasseler Universität und absolviert den praktischen Teil der dualen Ausbildung bei B. Braun in Melsungen. Seitdem er Schiedsrichter ist, spielt er Fußball bei der FSG Bebra nur noch im Training. Bei der FSG trainiert er zudem die F-Junioren. Momentan ist Tobias Lecke Single.

Hintergrund: Widerspruch zurückgezogen

Das regionale Fußballsportgericht hatte nach den Vorfällen in Weidenhausen vier Spieler des SV Türkgücü für bis zu 20 Pflichtspiele gesperrt und Trainer Hayri Karahan bis zum 5. Juli. Dem Kasseler Klub wurden zehn Punkte abgezogen. Der SVW musste 150 Euro Geldstrafe bezahlen und bekam die beim Stand von 1:0 abgebrochene Partie mit 3:0 Toren gewertet. Einen Widerspruch gegen dieses Urteil beim Verbandssportgericht hat Türkgücü in diesen Tagen zurückgezogen, es ist somit rechtskräftig.

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