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Interview zum Thema Leihmutterschaft: „Der Mensch wird zum Material“

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Von: Anna Lischper

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Diese Kinder sind bereits verkauft, bevor sie geboren wurden: Das Bild zeigt Frauen, die sich in der Akanksha Infertility Clinic in Anand/Indien auf eine Leihmutterschaft einlassen. Oft können Wunscheltern Leihmütter nach Aussehen und IQ auswählen. Foto: dpa
Diese Kinder sind bereits verkauft, bevor sie geboren wurden: Das Bild zeigt Frauen, die sich in der Akanksha Infertility Clinic in Anand/Indien auf eine Leihmutterschaft einlassen. Oft können Wunscheltern Leihmütter nach Aussehen und IQ auswählen. Foto: dpa

Ein Kind auszutragen und es dann an Wunscheltern zu verkaufen, ist bittere Realität. So wurden nach dem Erdbeben in Nepal Leihmutter-Babys nach Israel ausgeflogen. Meist sind es arme Frauen, die sich auf so ein Geschäft einlassen ihre Auftraggeber sind oft auch Deutsche.

Ruth Baumann-Hölzle ist Mitglied im Schweizer Ethikrat. Wir haben mit ihr über das Thema Leihmutterschaft gesprochen.

Frau Baumann-Hölzle, die Babys in Nepal wurden offenbar von homosexuellen Israelis gekauft. Wer nimmt sonst eine Leihmutterschaft in Anspruch?

Ruth Baumann-Hölzle: Eine Einzelperson oder Paare, die kein Kind bekommen können, aber auch homosexuelle und lesbische Paare. Interessant, dass Sie davon sprechen, dass Babys gekauft wurden.

Wie meinen Sie das?

Baumann-Hölzle: Babyhandel ist international geächtet. Das gibt es so nicht. Aber es gibt die Kommerzialisierung von Schwangerschaft. Weltweit werden Zeugung und Geburt zunehmend entkoppelt von der Natur und zu einer kommerziellen Technologie gemacht.

Wie läuft eine Leihmutterschaft ab?

Baumann-Hölzle: Das ist von der Agentur im jeweiligen Land abhängig. In Indien, wo der Markt mit geschätzten 2,34 Milliarden Dollar im Jahr floriert, müssen die schwangeren Frauen in Häusern bleiben, die sie nicht verlassen dürfen - ich nenne das Frauenfarm. Dabei werden sie optimal ernährt, damit sich der Fötus gut entwickeln kann. Sie sind abgekoppelt von ihren Familien, können ihre eigenen Kinder vielleicht einmal in der Woche sehen. Sie sind auch nicht versichert, wenn es eine Risikoschwangerschaft wird oder sie Probleme bei der Geburt haben.

Haben die Frauen ein Mitspracherecht?

Baumann-Hölzle: Was ihnen implantiert wird, wird wenig kommuniziert. Oft verstehen die Frauen die Sprache nicht oder sind Analphabetinnen. Die Frage ist: Inwieweit kann man etwas zustimmen, das man nicht versteht?

Kann man dann überhaupt davon sprechen, dass Leihmutterschaften freiwillig sind?

Baumann-Hölzle: Man könnte sagen: Das ist ein Geschäft, bei dem Frauen ihren Bauch für eine gewisse Zeit vermieten, warum sollten sie das nicht tun? Aber sind die Frauen frei? Bezahlte Leihmutterschaft ist Schwangerschaftsprostitution. Viele Frauen fühlen sich aus finanzieller Not gezwungen, ihren Körper als Gebärmaschine zu verkaufen.

Wie ist dieser Umgang mit dem Körper eines Menschen vereinbar mit Menschenrechten?

Baumann-Hölzle: Geht man von der Illusion eines völlig autonomen Menschen aus, dann könnte man sagen, die Frauen könnten sich frei entscheiden, ob sie ihren Bauch zur Verfügung stellen oder nicht. Solches Denken aber blendet die sozialen wie finanziellen Zwänge, denen diese Frauen ausgeliefert sind, aus. Untersuchungen zeigen, dass die Frauen oft unter Zugzwang sind - sie haben selbst kranke Kinder oder wollen ihren Kindern eine Schulausbildung ermöglichen. Die Kernfrage ist, ob der Wunsch nach einem Kind mehr Gewicht haben darf, als die Würde eines anderen Menschen, in diesem Fall diese Frauen.

Ist Kinderwunsch denn ein existenzieller Wunsch?

Baumann-Hölzle: Ja, sicher. Aber welches Anspruchsrecht hat man auf die Umsetzung solch existentieller Wünsche? Gibt es ein Recht auf ein Kind? Ein solches Anspruchsrecht beginnt sich gerade zu etablieren. Und zwar nicht nur eines auf ein Kind, sondern sogar auf ein gesundes Kind.

Was muss sich ändern?

Baumann-Hölzle: Wir müssen uns dringend weltweit zusammensetzen und beraten, wie mit der Leihmutterschaft, aber auch mit der Reproduktionstechnologie ganz allgemein umgehen wollen. Wir müssen uns fragen: Wie können wir den Menschen am Anfang und am Ende des Lebens vor willkürlichen Eingriffen schützen? In der Schweiz gibt es in der Verfassung „die Würde der Kreatur“, um Tiere und Pflanzen vor der Verbrauchsmentalität und einer absoluten Instrumentalisierung zu schützen. Bei Menschen läuft die Entwicklung genau in die Gegenrichtung - menschliches Leben wird zunehmend zum Verbrauchsmaterial.

Zur Person

Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle (Jahrgang 1957) leitet

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Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle © Privat

das Interdisziplinäre Institut für Ethik im Gesundheitswesen der Stiftung Dialog Ethik in Zürich. Seit 1998 ist sie Mitglied der Ethikkommission Zürich und seit 2001 bei der Nationalen Ethikkommission. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Fakten zur Leihmutterschaft

Jedes siebte Paar in Deutschland ist ungewollt kinderlos.

Sechs Milliarden Dollar (über fünf Milliarden Euro) werden mittlerweile nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen weltweit pro Jahr im Geschäft mit dem Austragen von fremden Embryonen umgsetzt. Allein in Indien soll der jährliche Umsatz bei 2,3 Milliarden Dollar (2 Milliarden Euro) liegen.

Mindestens 10 000 Kinder kamen in den letzten 30 Jahren durch eine Leihmutterschaft auf die Welt, schätzen Experten.

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45 000 Dollar kostet ein von einer Leihmutter ausgetragenes Kind in den USA, in Indien 2500 bis 6500 Dollar.

Eine Geld-zurück-Garantie bietet die Firma Biotexcom an, wenn man das "Success Paket" kauft: Es kostet 9900 Euro und umfasst fünf Versuche.

1985 trug die Britin Kim Cotton das erste Kind für ein kinderloses Paar als Leihmutter aus. Sie bekam dafür 6500 englische Pfund (etwa 8900 Euro) und weitere 15.000 Pfund (etwa 20 600 Euro) von einer Zeitung, an die sie ihre Geschichte verkaufte.

Seit 2014 ist Leihmutterschaft in Israel für heterosexuelle Paare erlaubt. Die Leihmutter darf selbst nicht verheiratet sein. Sollte sie sich nach der Geburt nicht von dem Kind trennen können, kann sie bei Gericht das Sorgerecht beantragen.

Künstliche Befruchtung heißt das Verfahren, mit dem die Schwangerschaft einer Leihmutter herbeigeführt wird. Die Befruchtung einer Eizelle mit einem Spermium ist dabei losgelöst vom sexuellen Akt und wird zum medizinischen Eingriff. Die Eizelle der Frau wird außerhalb des Körpers mit dem Sperma des Mannes befruchtet.

Mehrlinge sind keine Seltenheit bei der künstlichen Befruchtung, denn oft werden der Leihmutter mehrere befruchtete Eizellen eingepflanzt, damit die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft steigt.

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