Es ist nicht nur die Kirche

Ursula Enders beobachtet die aktuelle Missbrauchsdebatte mit Sorge. Die Gründerin der Kölner Kontakt- und Beratungsstelle „Zartbitter“ befürchtet, dass die Diskussion um katholische Geistliche und elitäre Internate zu neuen Tabus führen könnte. Dass vor lauter Kirche vergessen wird, dass es Missbrauch auch in anderen Institutionen gibt: in Sportvereinen, Kindertagesstätten, in der Jugendhilfe und auf Ferienfreizeiten.
Deshalb hat die Diplompädagogin eine Debatte mit breiterem Horizont gefordert. „Wir dürfen uns nicht auf Nebenschauplätze konzentrieren“, sagte die 53-Jährige im Interview mit dem Deutschlandfunk. „Zum Beispiel ist das Zölibat sicher nicht die Ursache des sexuellen Missbrauchs in der Kirche.“
Die 57--jährige Ursula Enders arbeitet seit 20 Jahren als Ansprechpartnerin für missbrauchte Mädchen und Jungen. Ihr Buch „Zart war ich, bitter war’s“ gilt als Standardwerk, wenn es um den Umgang mit sexuellen Übergriffen geht.
Schon 2003 hat sie sich in einer Publikation mit dem Thema Missbrauch in Institutionen beschäftigt. Dass nun immer wieder Fälle aus Schulen und Klöstern ans Licht kommen, ist für sie kein Zufall. „Jede große Institution ist anfällig für Missbrauch und eine anschließende Vertuschung“, schreibt Enders. „Deshalb gehört es zur klassischen Täterstrategie, sich für eine Tätigkeit im pädagogischen oder therapeutischen Bereich zu entscheiden.“
Detailliert beschreibt die Autorin, wie Täter die Strukturen eines Kindergartens oder Sportvereins nutzen, um ihre Verbrechen zu vertuschen. Wie sie sich verletzliche Kinder suchen, sich selbst als Wohltäter inszenieren und die Angst um den guten Ruf der Einrichtung schüren.
Deshalb fordert Enders eine unabhängige Kommission, die zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen eingesetzt wird - nicht nur innerhalb der Kirche, sondern überall. „Es ist immer noch leichter, einen Geistlichen, der sich an Kindern vergreift, aus der Kirche zu bekommen als einen übergriffigen Lehrer aus der Schule“, sagt sie. Ein gesetzlicher Verhaltenskodex für pädagogische Berufe könne helfen.
Von runden Tischen, den sowohl das Bundesfamilienministerium als auch das Justizministerium planen, verspricht sie sich nicht besonders viel. Schließlich seien noch nicht einmal Opferverbände eingeladen worden.
Das Justizministerium widerspricht dieser Darstellung auf Anfrage. „Wir haben noch nicht zum runden Tisch eingeladen“, sagte ein Sprecher. „Aber es ist genau unser Anliegen, zwischen Opfern und Institutionen zu vermitteln“. Vom Familienministerium hieß es, die Liste der Teilnehmer werde vertraulich behandelt.
Von Saskia Trebing