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Asylrechtler Daniel Thym: „Wer da ist, bleibt meist auch“

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Von: Petra Wettlaufer-Pohl

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Abschiebung unter Polizeischutz
Abschiebung unter Polizeischutz. Foto: dpa

Daniel Thym ist Experte für Asylrecht. HNA-Redakteurin Petra Wettlaufer-Pohl sprach mit ihm über das Vollzugsdefizit bei den Abschiebungen.

Herr Prof. Thym, viele Politiker beklagen ein Vollzugsdefizit bei Abschiebungen. Woher kommt dieses Defizit? 

Daniel Thym: Das hat viele Gründe. Die Zielstaaten sind oft nicht sehr kooperativ, was die Rücknahme ihrer Bürger betrifft. Zudem kooperieren viele Migranten nicht, wenn es etwa um die Beschaffung von Ausweisen geht. Man muss aber auch sagen, dass die Behörden hier nicht wirklich bereit sind, die rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen.

Sind sie also zu human? 

Thym: Es ist ja nicht schön, wenn eine Familie in den Kosovo abgeschoben werden soll und ganze Unterstützergruppen dagegen protestieren. Da tun sich die Politiker in den Ländern dann schwer.

Ist der Widerspruch zwischen moralischer und rechtlicher Betrachtung lösbar? 

Thym: Dieser Widerspruch ist ganz typisch für das Asyl- und Ausländerrecht. Es gibt immer zwei Blickwinkel: Hier das Einzelschicksal, das humanes Handeln verlangt, dort die Frage, wie wir eine funktionierende Einwanderungsgesellschaft werden wollen, in der klar ist, wer bleiben darf und wer nicht. Und Kosovaren werden derzeit eben nicht verfolgt.

Theoretisch haben wir diese Kriterien doch, warum funktioniert es nicht? 

Thym: Es ist durchaus zutreffend, dass wir kein Einwanderungs-, sondern ein Aufenthaltsgesetz haben. Derzeit ist es so, dass diejenigen, die kommen, auch wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben, gute Chancen haben, dauerhaft hier zu bleiben, gerade, weil nicht viel abgeschoben wird. Eine gesteuerte Einwanderung, die auf der einen Seite gezielt die Schutzbedürftigen im Blick hat und auf der anderen Seiten die Menschen, die wir für den Arbeitsmarkt brauchen, haben wir nicht. Wir sind ein Aufenthaltsland. Wer da ist, bleibt in der Regel auch da.

Eine gesteuerte Einwanderung würde heißen, dass man nicht jeden aufnimmt. An der derzeitigen Flüchtlingsproblematik würde es also kaum etwas ändern? 

Thym: Noch weiß ja niemand genau, wie so ein Einwanderungsgesetz aussehen würde. Die Vorstellung, dass alle Menschen, die ohnehin keine Chance auf Asyl haben, dann automatisch als Arbeitsmigranten kommen könnten, ist jedoch falsch. Viele Menschen aus den Balkanländern hätten auch dann keine Zugangsoption.

Warum nicht? 

Thym: Weil man die Einwanderung jenseits der Schutzbedürftigen voraussichtlich von einem Arbeitsplatz oder einem Ausbildungs- und Studienplatz abhängig machen würde, den die Migranten selbst finanzieren müssten. Das schließt viele Menschen aus, die dann wahrscheinlich doch wieder versuchen würden, auf anderem Wege hierher zu gelangen.

Das klingt, als seinen die Probleme kaum lösbar? 

Thym: Eine Patentlösung gibt es jedenfalls nicht, zumal wir in vielen Punkten auch von europäischem Recht abhängig sind. Es sind viele kleine Schrauben, an denen man drehen muss, etwa auch in den Transitländern, die nicht kooperieren, aber Entwicklungshilfe bekommen. Auch die Dublin-Regel hat ein riesiges Vollzugsdefizit: Nur ganz wenige Menschen werden von Deutschland in die Staaten zurückgeschickt, in denen sie die EU betreten haben. Aber auch dafür gibt es Gründe, etwa bei Griechenland.

Bundesinnenminister de Maizière hat gerade eine Verschärfung der Abschiebungsregeln angekündigt, auch nur graue Theorie? 

Thym: Für den Gesetzesvollzug sind meistens die Länder zuständig und dort ist man teils anderer Meinung. Wir werden ja sehen, ob Schleswig-Holstein im nächsten Winter wieder einen Abschiebestopp verhängt. Wie gesagt, wer einmal hier ist, hat gute Chancen zu bleiben. Erst vor Kurzem hat der Bundestag beschlossen, dass diejenigen, die schon sechs bis acht Jahre hier sind, ein Bleiberecht erhalten.

Sie sind Jurist. Wie bewerten Sie es, wenn Gesetze letztlich nicht vollzogen werden? 

Thym: Die Regeln, die der Staat erlässt, weil er sie für politisch sinnvoll hält, sollte er zumindest versuchen durchzusetzen. Zumal es in unserem Rechtsstaat ja vorher viele Möglichkeiten gibt, Entscheidungen überprüfen zu lassen. Gerade das Asyl- und Ausländerrecht wird man aber nie vollständig umsetzen. Eine Annäherung an die gesetzlichen Vorstellungen sollte es in einem demokratischen Staat aber geben.

Prof. Daniel Thym (41) studierte in Regensburg, Paris und Berlin Jura und hat seit 2010 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Der gebürtige Tübinger ist auch Direktor des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht in Konstanz.

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