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Grausamkeiten im Namen Assads: Syrischer Arzt vor Gericht – Er arbeitete auch in Nordhessen

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Von: Stefan Behr

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Vor dem OLG Frankfurt beginnt der Prozess gegen einen Arzt und mutmaßlichen Folterer aus Syrien. Er soll auch in Nordhessen gearbeitet haben.

Frankfurt – Falls die Anklage stimmen sollte, dann handelt es sich bei Alaa M. um einen selbst für einen Folterknecht extrem sadistischen Mörder. Und dazu noch um einen Angeber und Dummschwätzer. Schon die ersten beiden Fälle in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts, die am Mittwoch (19.01.2022) vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts verlesen werden, schildern Ungeheuerliches. So soll A., der damals als Assistenzarzt in einem Militärkrankenhaus im syrischen Homs gewütet habe, einem eingelieferten, etwa 14-jährigen Demonstranten gegen das Assad-Regime den Penis mit Alkohol übergossen und mit den Worten „Mal sehen, ob du ein Mann bist“ angezündet haben.

Auf die gleiche Weise soll er einen erwachsenen „Patienten“ gefoltert haben. Und anschließend, so die Anklage, habe er damit im Kollegenkreis „geprahlt“ und behauptet, er habe „eine neue Foltermethode erfunden“. Dabei hat der Mensch mit ziemlicher Sicherheit das Feuer in etwa ab dem Zeitpunkt als Folterinstrument eingesetzt, zu dem er es unter Kontrolle hatte.

Der angeklagte Arzt (l.) redet im Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts mit seinem Anwalt Oussama Al-Agi.
Der angeklagte Arzt (l.) redet im Sicherheitssaal des Oberlandesgerichts mit seinem Anwalt Oussama Al-Agi. © Boris Roessler/dpa

Prozess gegen Arzt aus Syrien: Herr im Folterkeller

Auch die als letzte vorgetragene von 18 angeklagten Einzeltaten beschreibt A. als einen Mann von großer Grausamkeit und kleinem Geiste. In einer Gemeinschaftszelle, in der mehr als 20 Gefangene eingepfercht gewesen seien, habe es ein großer, starker Mann gewagt, sich gegen die Schläge des Arztes zu wehren. Daraufhin habe dieser ein Exempel statuieren wollen, um allen zu zeigen, wer Herr im Folterkeller sei. Nachdem der Widerspenstige mithilfe von Wärtern zusammengeschlagen worden sei und am Boden gelegen habe, soll A. seinen Fuß in das Gesicht des Mannes gesetzt und dessen Mitgefangenen gesagt haben, er werde ihn nun „in den Himmel zu den Jungfrauen“ schicken. Dann soll er ihm eine Spritze gesetzt haben. Der Mann habe danach nur noch ein paar Minuten gelebt, es sei ihm zusehends schlechter gegangen. Danach, so die Anklage prosaisch, „bat er, seine Mutter zu grüßen, und verstarb sodann“.

Falls die Anklage stimmt, was der Angeklagte bislang vehement bestritten hat, handelt es sich bei Alaa M. um einen wandelnden Verstoß gegen den hippokratischen Eid und jedwedes Menschenrecht. Was könnte einen Menschen dazu treiben, anderen so etwas anzutun? Die Anklage sagt, A. habe „loyal zu Assad“ gestanden. Die oppositionellen Kräfte hingegen habe er als das pure Böse gesehen, sie bestenfalls „Terroristen“ und „Saboteure“ genannt, oft aber auch als „Hunde“ oder „Küchenschaben“ entmenschlicht. Aber reicht das aus, um einen Menschen wegen eines Knochenbruchs zu operieren, ohne ihn zuvor zu narkotisieren? Ist das Grund genug, entzündete Wunden dadurch zu behandeln, dass man in sie hineintritt, mit Alkohol übergießt und anzündet – und dem vor Schmerzen Schreienden die Zähne aus dem Mund tritt?

Arzt aus Syrien äußert sich zunächst nicht zu den Vorwürfen

„Ich bin Christ“, sagt Alaa M. dem Senat, aber das ist auch keine Erklärung. Zu den Tatvorwürfen äußert sich der 37-Jährige am ersten Verhandlungstag nicht, er gibt lediglich eine kurze Zusammenfassung seiner Vita. Fest steht wohl, dass der Vater eines siebenjährigen Sohnes und einer vierjährigen Tochter kein Idiot ist.

Bereits sein Abitur in Syrien hatte er mit Bestnoten bestanden. Im Mai 2015 kam A. nach Deutschland und hat seitdem in zwei Kliniken als Orthopäde gearbeitet – zu vollen Zufriedenheit seiner Arbeitgeber. Er spricht so gut Deutsch, dass er den vom Gericht gestellten Dolmetscher nicht benötigt. Und die Antwort auf die Frage nach seinem Einkommen zeigt, dass der Mann ein wahres Integrationswunder ist: „Ich habe für mein Gehalt eigentlich viel zu viel gearbeitet“ – deutscher geht’s nicht.

Alaa M. soll auch in der Region Kassel tätig gewesen sein. Bevor er nach Hessisch Lichtenau für eine Weiterbildungsassistenz zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie wechselte, arbeitete er bis Ende 2017 in einer Bad Wildunger Reha-Klinik. Danach ging er nach Bayern, später nach Göttingen, berichteten Vertreter von Lichtenau e.V.

Dass in Deutschland nun gegen A. ein Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt wird, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip, das es der deutschen Justiz zu handeln erlaubt, auch wenn es sich weder bei Täter:innen noch Opfern um deutsche Staatsbürger:innen handelt. Dieses Prinzip ist zwar auch in den meisten Rechtssystemen anderer Staaten verankert, wird aber nur von solchen praktiziert, die es sich auch leisten können.

Prozess gegen Arzt aus Syrien in Justizkreisen nicht unumstritten

Deshalb ist dieser Prozess, der bis Ende März terminiert ist, aber mit großer Wahrscheinlichkeit sehr viel länger dauern wird, in Frankfurter Justizkreisen nicht unumstritten – was daran liegt, dass sämtliche Strafkammern und Senate derzeit deutlich über der Grenze der Belastbarkeit arbeiten müssen. Die große Zahl an Demonstrant:innen, darunter auch Angehörige der mutmaßlichen Opfer A.s, die den Prozessauftakt begleiten, sind mehr als ein Indiz für dessen Wichtigkeit.

Auf interne Kritik stößt allerdings der mangelnde politische Wille, für solche Prozesse – erst unlängst hatte das OLG einen Mann aus Ruanda wegen dortiger Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt – auch die nötige Infrastruktur zu schaffen. (Stefan Behr)

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