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100 Tage im Amt: Oberbürgermeister Christian Geselle zieht Bilanz

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Von: Florian Hagemann, Frank Thonicke

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Er musste schon manch Herausforderung bewältigen: Oberbürgermeister Christian Geselle.
Er musste schon manch Herausforderung bewältigen: Oberbürgermeister Christian Geselle. © Koch

Kassel. Oberbürgermeister Christian Geselle spricht im HNA-Interview über seine bisher größte Herausforderung im Amt - die Aufarbeitung der documenta.

Herr Geselle, wie fällt denn Ihre Bilanz nach 100 Tagen im neuen Amt aus?

Geselle: Ich freue mich immer noch jeden Morgen, wenn ich ins Büro komme. Denn Oberbürgermeister seiner Heimatstadt sein zu dürfen, ist ein toller Job. Für mich waren es schöne und gute 100 Tage. Und dass Herausforderungen auf dem Weg zum besten Zuhause auf einen warten, war mir von vornherein klar. Ich bin niemand, der sich scheut, etwas anzupacken.

Die Themen, die Sie angepackt haben, sind vielfältig: Campingplatz, Kulturhauptstadtbewerbung, das Auestadion als Konzertarena, die Rettung des KSV Hessen Kassel, die zweite Eisfläche, mehr Kitaplätze, der Wegfall des Trinkraums – war das nicht ein bisschen viel?

Geselle: Es war schon eine Herausforderung. Der hauptamtliche Magistrat hat sich ja nach dem Ausscheiden von Bertram Hilgen erst nach und nach neu aufgestellt; die Aufgaben mussten zwischenzeitlich aufgeteilt werden. Aber das war machbar, weil vor allem die Amtsleiter hervorragende Arbeit geleistet und mehr Verantwortung übernommen haben. Die angesprochenen Themen zu erledigen, lag dabei auf der Hand. Nun hat sich die Lage auch deswegen entspannt, weil der hauptamtliche Magistrat komplett ist und wir eine handlungsfähige Koalition in der Stadtverordnetenversammlung haben, was ich auch als große Leistung ansehe.

Sind die vielen Themen auch ein Beleg dafür, dass es einen Rückstau gegeben hat?

Geselle: Nach der Kommunalwahl vor eineinhalb Jahren herrschte schon eine politisch unklare Lage, was sich auf die Arbeit ausgewirkt hat. Der Abstimmungsbedarf war einfach größer. Jetzt ist die Basis gelegt.

Wenn Sie von Herausforderungen sprechen: Welches war denn Ihre größte?

Geselle: Da müssen wir nicht um den heißen Brei herumreden: Die größte Herausforderung war und ist bisher die Aufarbeitung all dessen, was rund um die documenta geschehen ist. Meine größte Hoffnung zu Beginn war, dass die documenta eine friedliche Veranstaltung werden würde. Ich habe mir da wirklich Sorgen um die Sicherheit gemacht, weil wir mittlerweile in einer veränderten Welt leben. Deshalb bin ich heilfroh, dass die documenta eine friedliche und tolle Veranstaltung geworden ist: für die Welt, für die Region, für Kassel. Die documenta ist und bleibt imageprägend für unsere Stadt.

Bleibt die Aufarbeitung des wirtschaftlichen Aspekts.

Geselle: Die bleibt eine Herausforderung, keine Frage. Umso wichtiger ist es, parallel auch ein Zeichen zu setzen für die Zukunftsfähigkeit der documenta. Und das werden wir in der nächsten Sitzung des documenta-Aufsichtsrats tun. Dort werden wir beschließen, dass die nächste documenta definitiv stattfinden wird – und zwar vom 18. Juni bis 25. September 2022. Damit beugen wir auch den kursierenden Gerüchten vor. Wir werden zudem eine Findungskommission festlegen, die sich dann mit der Suche nach einem künstlerischen Leiter befasst. Damit liegen wir voll im Zeitplan.

Bleiben die wirtschaftliche Aufarbeitung des Millionendefizits und mögliche Konsequenzen?

Geselle: Auch darum wird es natürlich in der nächsten Sitzung am 15. November gehen. Weiteres kann ich dazu aber nicht sagen.

Was war bisher die Herkulesaufgabe bei der Aufarbeitung?

Geselle: Ein Riesenthema war es, das aufgekommene Loch in Millionenhöhe zu schließen. Das war eine Herkulesaufgabe für die Beteiligungsverwaltung des Landes Hessen und für die der Stadt Kassel. Es war nämlich gar nicht so leicht, das Darlehen und die Bürgschaft rein rechtlich durchzubringen, um damit den Fortbestand der documenta sichern zu können. Das war zunächst das Wichtigste. Bei manch feuilletonistischer Betrachtung kommt dies leider ein Stück zu kurz. Wir haben damit die nachhaltige Sicherung der Institution und des Unternehmens documenta erreicht. Gleichzeitig mussten wir aber auch eine Perspektive aufzeigen und deutlich machen, dass wir die documenta in der Stadt Kassel halten und wir keinen Eingriff in die künstlerische Freiheit nehmen.

Aber gerade hier kamen ja Befürchtungen auf.

Geselle: Die Befürchtungen kamen auf, weil auch die künstlerische Freiheit nur innerhalb eines finanziellen Rahmens gilt. Deshalb habe ich auch immer betont, dass es eine Kunst des Nein-Sagens gibt. Die hat zuletzt gefehlt. Das müssen wir in Zukunft vermeiden. Aber innerhalb des Budgets sollte der künstlerische Leiter machen dürfen, was er will. Deshalb ist es mein Anliegen, die Entscheidungsprozesse der Findungskommission zu stärken.

War die Aufarbeitung des Themas eine Art Feuertaufe für Sie als Oberbürgermeister?

Geselle: Ach, das müssen andere beurteilen. Es ist sicher eine Gemengelage entstanden, mit der es nicht leicht war, umzugehen. Hier politisches Klein-Klein, dort die Kunstszene, dort die Ängste manch eines Verantwortlichen, womöglich haftbar gemacht zu werden. Dann ist es natürlich nicht hilfreich, wenn viele meinen, sich äußern zu müssen, ohne die Faktenlage abschließend zu kennen.

Es kamen auch kritische Stimmen aus der eigenen Partei. Spüren Sie dort genügend Rückhalt?

Geselle: Das empfinde ich so, ja.

Trotzdem ist der Eindruck entstanden, dass Ihr Vorgänger und Parteikollege Bertram Hilgen und Sie nicht das beste Verhältnis haben. Waren die ersten 100 Tage auch dazu da, sich vom Vorgänger zu emanzipieren?

Geselle: Nein, ich habe schon immer meine Meinung gesagt. Außerdem muss man berücksichtigen, dass wir unterschiedlichen Generationen angehören. Ansonsten pflegen wir nach wie vor einen normalen Umgang miteinander.

Sind Sie ein bisschen enttäuscht darüber, dass die documenta in Ihren ersten 100 Amtstagen andere Themen in der Wahrnehmung verdrängt hat?

Geselle: Enttäuscht nicht. Aber natürlich haben wir uns auch um andere Themen gekümmert: Wir haben auf den Weg gebracht, dass mehr Wohnraum entstehen wird, was extrem wichtig ist. Wir haben dafür gesorgt, dass wir im nächsten Jahr 517 Kitaplätze mehr haben werden. Und wir treiben die Entwicklung der Gewerbegebiete Niederzwehren und Hauptbahnhof Nordseite weiter voran. Darüber hinaus werden wir weiter in die Sicherheit der Innenstadt investieren.

Zur Person 

Christian Geselle (41) kommt aus Kassel; er wuchs in Niederzwehren auf und besuchte das Wilhelmsgymnasium. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Polizeibeamten; als solcher arbeitete er in Frankfurt. 

Parallel studierte er in Göttingen Rechtswissenschaften. Nach dem zweiten Staatsexamen war er als Verwaltungsjurist beim Land Hessen tätig. 2006 wurde Geselle Mitglied der Kasseler Stadtverordnetenversammlung, 2013 übernahm er den Vorsitz der SPD-Fraktion. 

2015 wurde er Dezernent, im August vergangenen Jahres übernahm er die Kämmerei. Im März wurde er mit 56,6 Prozent der Stimmen zum Oberbürgermeister gewählt. Geselle hat zwei Kinder.

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