Alexander kann dank Anzug mit 58 Elektroden besser laufen

Die Ganzkörper-Softorthese hilft Menschen mit neurologischen Erkrankungen: Elektrischer Strom stimuliert und lockert die Muskeln.
Kassel – Alexander Hugo hat eine angeborene Zerebralparese, eine frühkindliche Gehirnstörung mit Auswirkungen auf Sensomotorik, Mobilität und Bewegungsfähigkeit. Der 22-Jährige aus Bebra ist auf einen Rollstuhl angewiesen und braucht fürs Gehen Dreipunkt-Gehilfen. „Ihm fällt es schwer, die Füße anzuheben. Schon ein Puzzleteil auf dem Boden kann für ihn zur Stolperfalle werden“, sagt seine Mutter Petra. Zudem kann Alexander seinen Oberkörper nicht aufrecht halten.
Für ihn gibt es ein neues Hilfsmittel: die Ganzkörper-Softorthese „Exopulse Mollii Suit“ für Patienten mit schmerzenden, steifen, verkrampften oder unkontrolliert zuckenden Muskeln in Folge spastischer Lähmungen und anderen neurologischen Erkrankungen. Symptome wie diese sollen durch das regelmäßige Tragen des Neuromodulationsanzugs – alle zwei Tage eine Stunde – gemindert werden.
Der Exopulse-Anzug besteht aus Jacke und Hose sowie einer abnehmbaren Bedieneinheit. „Die 58 in den Anzug integrierten Elektroden senden über die Haut elektrische Signale zur Stimulierung und letztlich Entspannung der Muskeln“, erklärt Orthopädietechnikermeister Max Feger von OTZ Lichtenau Orthopädietechnik und Sanitätshäuser mit Standorten in Kassel, Hessisch Lichtenau und Rotenburg/Fulda. „Spastiken und dadurch bedingte Schmerzen werden reduziert und Muskeln aktiviert.“
Der Elektroanzug hilft Alexander beim Gehen und Im Alltag
Nach einer Stunde Stimulation ist der Effekt bei Alexander zu sehen: „Er geht aufrechter und flüssiger, bleibt mit den Fußspitzen nicht mehr so sehr an Boden hängen“, erklärt OTZ-Geschäftsführer Alf Reuter. Sein Betrieb ist bislang einziger zertifizierter Partner für das Hilfsmittel in der Region, das der Hersteller Otto Bock entwickelt und 2022 auf den Markt gebracht hat. Auch Alexander spürt eine Verbesserung: Alles fühle sich lockerer an, und der Anzug sei bequem zu tragen.
„Damit wird Patienten ein aktiverer Alltag und mehr Lebensqualität geschenkt“, sagt Reuter. Feger ergänzt: „Für sie ist die Ganzkörperorthese ein therapeutischer Meilenstein.“ Weil sie die Mobilität und Beweglichkeit verbessere, falle den Patienten auch Alltägliches wie das Greifen einer Kaffeetasse, das Schuhbinden oder das Treppensteigen leichter. Patienten berichteten zudem, dass sie weniger Medikamente bräuchten und besser schliefen.
Petra Hugo bestätigt, dass das Stimulationsprogramm, das individuell auf die Träger angepasst wird, ihrem Sohn vieles vereinfache, zum Beispiel das Ein- und Aussteigen am Auto. „Dazu brauchte er sonst meine Hilfe.“ Feger erklärt, dass zudem ein „Carryover-Effekt“ entstehe: „Nach der Anwendung bleiben die Muskeln bis zu 48 Stunden entspannt.“
Die Kosten für die Softorthese, mit der man alles außer Sport machen kann, sind allerdings hoch: 8500 Euro kostet das Hilfsmittel und ist privat zu zahlen. Von den bislang deutschlandweit 150 Versorgungen, würden derzeit nur zwei von den Krankenkassen bezahlt, sagt Reuter. (Von Helga Kristina Kothe)
Welche Patienten profitieren?
Zu den neurologischen Erkrankungen, bei denen die Ganzkörper-Softorthese „Exopulse Mollii Suit“ von Otto Bock positive Effekte erzielen kann, zählen den Angaben zufolge unter anderem Zerebralparese, Multiple Sklerose, Schlaganfall und Rückenmarksverletzungen. „Sie sind oft mit Spastiken (Muskelsteife) und Hypertonien (schlaffe Lähmungen), verbunden. Auf diesen Gebieten gibt es bisher die meiste Erfahrung“, erläutert der Orthopädietechnikermeister Max Feger von OTZ Lichtenau.