1. Startseite
  2. Kassel

Historiker wirbt für mehr Denkmalpflege: Aufmerksamkeit für die Schätze der Stadt

Erstellt:

Von: Florian Hagemann

Kommentare

Vor dem Denkmal für Landgraf Friedrich II.: Karl-Hermann Wegner.
Vor dem Denkmal für Landgraf Friedrich II.: Karl-Hermann Wegner. © Andreas Fischer

Wie geht die Stadt mit Kassels Denkmälern und Sehenswürdigkeiten um? Wir haben uns mit einem Experten mal umgesehen und lassen auch die Stadt zu Wort kommen.

Kassel - Karl-Hermann Wegner ist einer der profundesten Kenner der Kasseler Stadtgeschichte. Der Gründer und ehemalige Leiter des Stadtmuseums kann fast zu jeder Straße, zu jedem Gebäude, zu jedem Denkmal Geschichten erzählen und etwas über die historischen Zusammenhänge sagen. Ein Stadtrundgang mit dem 80-Jährigen ist eine lehrreiche Veranstaltung. Aber um das Wissen an sich geht es diesmal nur bedingt.

Beim Treffen in der Innenstadt will Wegner vielmehr aufzeigen, dass die Stadt auch heute noch nach der Kriegszerstörung und dem Wiedererstehen als „Neue Stadt auf altem Grund“ in den 1950er-Jahren sehr viel mehr Zeugnisse und Denkmäler einer großen europäischen Kulturgeschichte besitzt, als vielen ihrer Bewohner bekannt und bewusst ist. Kassel könnte wesentlich mehr daraus machen und das, was es zu bieten hat, besser darstellen, sagt er. Es ist eine kleine Anklage in mehreren Punkten.

1. Der Friedrichsplatz: Karl-Hermann Wegner steht auf dem Platz und erzählt über dessen Historie, über das Fridericianum als dem ersten wirklich öffentlichen Museum in Europa. Dabei kommt er schnell auf den Rasen vor dem Gebäude und auf die Rasenfläche vor dem Staatstheater zu sprechen. Er erinnert sich an die Sommerzeit, als dort „das Unkraut manchmal so hoch war, dass man kaum etwas sah“. Für ihn ein Unding. Er will, dass die Flächen diesseits und jenseits der Frankfurter Straße wieder als Einheit wahrgenommen werden. Das geht aber nicht, wenn hier der Wildwuchs sprießt und dort der Rasen immer akkurat gemäht wird.

Dann schaut er auf das Denkmal von Landgraf Friedrich II. Vor zwei Jahren wurde dessen 300. Geburtstag gefeiert, doch das Denkmal sei zu diesem Anlass nicht aufgehübscht worden. „Der Sockel ist sehr oft beschmiert, und das Gesicht ist richtig dreckig und wird nie sauber gemacht“, klagt Wegner, der noch einen anderen Kritikpunkt hat: „Es wäre ja auch kein Unglück, hier mal eine Erläuterungstafel aufzustellen.“ Die aber findet sich wie bei vielen anderen Denkmälern nicht.

2. Die documenta-Achse: Der Blick von Karl-Hermann Wegner geht Richtung Treppenstraße. Er kommt auf die documenta-Achse zu sprechen: ausgehend von der documenta-Halle, das Fridericianum direkt vor Augen, das Ruruhaus, der Obelisk, und in der Verlängerung der Himmelsstürmer vor dem Hauptbahnhof im Blick. Welche Stadt hat so etwas schon zu bieten? Auch Wegner mag diese Verbindung als gelungene Neuschöpfung der „Neuen Stadt“, wie er es ausdrückt. Das Problem für ihn ist aber auch hier, wie der Schatz präsentiert wird – Beispiel Obelisk auf der Treppenstraße: „Ich frage mich, warum er abends nicht beleuchtet ist. Er steht immer im Dunkeln. Dabei genügt ein Licht, um ihn anzustrahlen.“ So werde er gerade in der tristen Jahreszeit ab dem Nachmittag kaum wahrgenommen.

3. Der Opernplatz: Karl-Hermann Wegner steht nun auf dem Opernplatz – vor dem Denkmal von Louis Spohr, dem berühmten Komponisten und Dirigenten, der von 1822 bis 1859 in Kassel lebte. Wegner deutet auf das Werbebanner im Hintergrund und sagt, dass es dem Denkmal Spohrs die Wirkung nehme. „Es verliert so an Bedeutung. Und das wäre mit ein bisschen gutem Willen und Beratung vermeidbar“, sagt er in Richtung der Stadt. Sehr aufgeregt hat er sich in der Adventszeit, als der Märchenweihnachtsmarkt auch auf dem Opernplatz zu Gast war, die Buden direkt um das Denkmal herumgebaut wurden und dieses in deren Versorgungsbereich verschwand. „Das stelle ich auch bei anderen Veranstaltungen in der Stadt fest: Man ignoriert die Denkmäler und baut sie zu, anstatt sie zu integrieren und glänzen zu lassen“, sagt Wegner. Auch bei Spohr hat er festgestellt: Es fehlt das Licht am Abend, es fehlt eine Hinweistafel, und es ist verdreckt. Er regt an, prinzipiell um die Sockel einen kleinen hübschen Zaun oder eine kleine Bepflanzung einzurichten, um sie vor Vandalismus zu schützen und die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken – wie in manchen Städten üblich.

4. Der Karlsplatz: Angekommen am Karlsplatz. Karl-Hermann Wegner hat jetzt schon viel Grundsätzliches über die Pflege der Denkmäler gesagt. All das träfe auch auf das Denkmal von Landgraf Karl zu, das vor der Karlskirche steht – der ältesten Großstadtkirche der französischen Glaubensflüchtlinge Hugenotten, nachdem ihre Kirchen in Frankreich alle zerstört wurden, wie der Historiker zu berichten weiß. Ihn ärgert, dass kein engerer Zusammenhang zwischen der Kirche und dem Denkmal hergestellt wird. Und er macht das auch an dem exakten Standort fest, denn das Denkmal steht gerade nicht mittig vor der Karlskirche, sondern ein bisschen versetzt. „Und dann fahren auch noch die Autos drumherum, als sei das Denkmal ein Verkehrshindernis.“

5. Der Rathausvorplatz: Auch aus dem Rathausvorplatz ließe sich mehr machen, weil er einer der wenigen erhaltenen historischen Stadträume Kassels sei, behauptet Wegner. Und er macht das vor allem an einem Beispiel deutlich: am Brunnen, den Sophie Henschel zum Andenken an ihren Mann, den Fabrikanten Oskar Henschel, 1910 gestiftet hat. Davor sind Fahnenmasten angebracht, die den Blick auf den ohnehin recht versteckten Brunnen zusätzlich einschränken. „Man nimmt ihn überhaupt nicht wahr. Und das lässt sich auch als Zeichen deuten, wie die Stadt mit Bürgerengagement umgeht. Das ist sehr bedauerlich“, sagt Wegner.

6. Die Hinweistafel: Zum Abschluss zeigt Karl-Hermann Wegner noch eines seiner Haupt-Ärgernisse – eine Kleinigkeit, aber doch vielsagend, wie er zu verstehen gibt. Es geht um die Tafel, die an der Ecke Friedrichsstraße, Obere Karlsstraße am ehemaligen Gemeindehaus angebracht ist und an das Hospital der Hugenotten erinnert: „Hôpital des Francois Réfugiés 1773.“ Direkt vor der Tafel ist ein großes Schild angebracht, das den Autofahrern den Weg weist. Die historische Sandstein-Tafel werde so kaum wahrgenommen. „Dabei kann man das Schild doch einfach auf die andere Straßenseite stellen“, sagt Wegner. Für ihn ist dies Gedankenlosigkeit im Umgang mit der Geschichte der Stadt leider „typisch“.

Karl-Hermann Wegner könnte jetzt noch Stunden weiterlaufen, ihm würde noch viel einfallen zu diesem Thema. Was sagt die Stadt zur Denkmalpflege?

Das sagt die Stadt zur Denkmalpflege: Das Amt für Stadtplanung, Denkmalschutz und Bauaufsicht hat sich schriftlich geäußert. Vorweg wird das öffentliche Interesse am Erhalt und Schutz an Denkmälern erwähnt: „Ziel ist es, Denkmäler in ihrer ursprünglichen Ausprägung im städtebaulichen Kontext zu erhalten und dauerhaft zu sichern.“ Ansonsten:
Reinigung: „Die Denkmäler und Zierbrunnen werden nicht im festen Turnus, sondern nach Bedarf gereinigt. Beispielsweise erfolgt nach Vandalismus eine zeitnahe Säuberung, gegebenenfalls auch Instandsetzung“, heißt es. Die Reinigung von Denkmälern sei eine Aufgabe, die Fingerspitzengefühl und Fachkenntnis erfordere. Jede Oberfläche, jedes Material benötige spezielle Reinigungsmittel und Reinigungsverfahren. Eine häufige Reinigung sei deshalb nicht unbedingt dem Erhalt des Denkmals dienlich, sondern könne auch Substanzverlust und somit zu schleichender Zerstörung führen. Zu besonderen Anlässen würden einige Denkmäler inspiziert und – falls erforderlich – gereinigt.

Hinweistafeln: „Die Entscheidungen werden im Einzelfall getroffen. Das flächendeckende Anbringen von Hinweistafeln an Denkmälern im öffentlichen Raum ist derzeit nicht vorgesehen“, heißt es. So sieht es auch bei Zäunen aus, die bei entsprechender Höhe das Erscheinungsbild und den Charakter der Denkmäler erheblich beeinträchtigen könnten.

Beleuchtung: Beim Thema Beleuchtung verweist das Amt auf den Einzelfall bei anstehenden Umgestaltungen von Straßenräumen und Plätzen. Oberbürgermeister Christian Geselle hatte erklärt, dass bislang nicht geplant sei, den Obelisken über seinen prominenten Standort hinaus in Szene zu setzen.

Buden und Werbung: Hier will sich die Stadt mit Kassel Marketing ins Benehmen setzen und schauen, dem Spohr-Denkmal bei Veranstaltungen mehr Aufmerksamkeit durch die „noch angemessenere Aufstellung der Stände“ zu ermöglichen. Ansonsten habe C&A einen Anspruch, Werbeanlagen an seinem Gebäude anzubringen.

Rasen: Bei dem fast ungemähten Rasen vor dem Staatstheater verweist das Amt auf eine Kunstperformance 2021 und das stadtweite Extensivierungsprojekt – mit dem Ziel, mehr Lebens- und Nahrungsräume für Insekten und Kleinstlebewesen zu schaffen.

Brunnen und Tafel: Keine Notwendigkeit zum Handeln sieht das Amt beim Henschelbrunnen und der Tafel Friedrichsstraße. Der Brunnen sei im Zuge der Königsstraßen-Neugestaltung umgestaltet worden. Die Tafel sei gut zu sehen, das Objekt nicht im Besitz der Stadt. (Florian Hagemann)

Auch interessant

Kommentare