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„Es ist dramatisch“: Baubranche in Kassel unter Druck

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Gestiegene Zinsen, Kostensteigerungen, hohe Auflagen: Die Baubranche in Kassel und Nordhessen sieht große Probleme beim Wohnungsbau.

Kassel – Die Baubranche in Kassel und ganz Nordhessen sieht eine Krise heraufziehen. „Es ist dramatisch“, sagt Bauunternehmer Thilo Gerke, Obermeister der Bau-Innung Kassel und Geschäftsführer der Kasseler Baufirma Rennert. Vor allem der klassische Einfamilienhausbau sei mittlerweile völlig zum Erliegen gekommen. Nur etwas besser laufe es beim klassischen Wohnungsbau.

Angesichts einer mehr als Vervierfachung der Bauzinsen in 2022 und Baukostensteigerungen von bis zu 20 Prozent sei das auch kein Wunder, so Gerke.

Bauen in Kassel: Energiepreise wirken sich auf Materialkosten aus

Ein Problem seien die infolge des Ukraine-Krieges gestiegenen Energiepreise. Diese würden sich auch auf die Materialkosten auswirken. „Die Herstellung von Zement für den Beton ist energieintensiv. Gleiches gilt für die Herstellung von Ziegeln“, so Gerke. Die Baubranche brauche Hilfe von der Politik, damit die zuletzt verfehlten Wohnungsbauziele erreicht werden könnten.

Stadt will auf die von der Baubranche geforderten Neubaugebiete möglichst verzichten: Wie hier im Martini-Quartier soll durch Umwidmung bereits versiegelter Flächen neuer Wohnraum geschaffen werden.
Stadt will auf die von der Baubranche geforderten Neubaugebiete möglichst verzichten: Wie hier im Martini-Quartier soll durch Umwidmung bereits versiegelter Flächen neuer Wohnraum geschaffen werden. © Andreas Fischer/ Skypic

Bauunternehmerin Anne Fenge (Hermanns AG), die im Vorstand des Bauindustrieverbandes Hessen-Thüringen sitzt, befürchtet weitere Umsatzrückgänge. 2022 habe dieser im Bauhauptgewerbe bei 5,1 Prozent gelegen. Manche befürchteten für 2023 einen Rückgang von zehn Prozent. Schon jetzt würden sich an öffentlichen Ausschreibungen eine immer größere Zahl von Baufirmen beteiligen. Dies sei ein Beleg für die sinkende Auslastung. Fenge selbst will aber nicht nur schwarzmalen: „Es gab schon immer Wellenbewegungen in der Branche.“

Fenge und Gerke sind sich aber einig, dass für eine Beschleunigung beim Bau unter anderem die „sehr hohen Auflagen“ für die Wärmedämmung und den Schallschutz reduziert werden müssten. „Was nützt der ohne Frage wichtige Klimaschutz, wenn die Leute kein Dach über dem Kopf haben oder es sich nicht leisten können“, sagt Gerke. Zudem müsse das Personal im Baudezernat aufgestockt werden, um die Bearbeitung von Bauanträgen zu beschleunigen.

Stadt Kassel soll neue Baugebiete auf der grünen Wiese ausweisen

Andreas Lieberknecht, Geschäftsführer der Bau-Innung Kassel, macht sich auch Sorgen um den Personalbestand der Baufirmen. In der Heizungs- und Sanitärbranche sowie bei den Elektrikern laufe es wegen der eingeleiteten Energiewende gut, in anderen Handwerksbereichen könne eine schlechte Auftragslage mittelfristig zu Stellenabbau führen. „Das müssen wir verhindern. Wir brauchen die Fachleute“, sagt Lieberknecht. Gerke und Fenge fordern zudem die Stadt Kassel auf, nicht nur die Innenentwicklung voranzutreiben, sondern auch neue Baugebiete auf der grünen Wiese auszuweisen. Anders werde die Stadt ihr Ziel nicht erreichen, bis 2030 die benötigten 8000 Wohnungen zu errichten.

Tatsächlich liegt die Stadt Kassel weit hinter ihrem selbst gesteckten Ziel, für das im Schnitt 800 Wohnungen pro Jahr gebaut werden müssten. Zwischen 2018 und 2021 waren beim Wohnungsbestand im Durchschnitt jährlich nur 275 Wohnungen hinzugekommen. Der Rückgang bei den Einfamilienhäusern war 2022 in Kassel statistisch noch nicht spürbar. Seit 2017 sind pro Jahr ungefähr 50 Häuser hinzugekommen. 2022 waren es 57. (Bastian Ludwig)

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