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Betrug mit Coronatests? Prozessauftakt: Mann soll 1,8 Millionen Euro ergaunert haben

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Von: Thomas Stier

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10.12.2021, Sachsen, Dresden: Eine Mitarbeiterin im „Covidservicepoint Teamescape“ in der Dresdner Neustadt wertet in einer Gefängniszelle einen Corona-Schnelltest aus. Der Escape-Room, ein realitätsgetreu nachgebauter thematischer Raum, in dem sonst Spieler einer vorgeschriebenen Zeit Rätsel lösen müssen, wird derzeit für Antigen-Schnelltests genutzt.
Ein Mann soll mit Coronatests ordenlich Kasse gemacht haben. jetzt steht er vor Gericht. © Robert Michael/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ein Mann aus Kassel steht vor Gericht, weil er Corona-Abstriche in seinen Testcentern gar nicht oder falsch vorgenommen hat. Es geht um eine Summe von 1,8 Millionen Euro.

Kassel – Die Betrugsmasche schien kinderleicht: Rechnungen für tatsächlich nie oder fehlerhaft vorgenommene Corona-Schnelltests schreiben, an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) schicken – und kurze Zeit später überweist die KV aus Hessen, Sachsen und Niedersachsen Hunderttausende Euro auf Konten bei der Kasseler Sparkasse und der Raiffeisenbank Baunatal. Funktioniert hat das aber nur kurze Zeit zwischen April und Mitte Juni 2021. Dann wurde ein 27-jähriger Mann aus Kassel festgenommen, als er gerade Tausende Euro in bar vom Konto in Baunatal abheben wollte.

Seit Mittwoch muss sich der Mann wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges vor der 2. Strafkammer des Kasseler Landgerichts verantworten. Mit von ihm betriebenen Testzentren in Kassel sowie in Leipzig und Braunschweig soll er in kurzer Zeit 1,8 Millionen Euro ergaunert haben. Weil die Sparkasse aber angesichts der hohen Beträge rasch wegen des Verdachts auf Geldwäsche Ermittlungen aufgenommen und die Konten gesperrt hatte, waren nur einige Hunderttausend Euro ausgezahlt und abgehoben worden.

Auf Befragen von Richter Besson von der Wirtschaftsstrafkammer räumte der Iraner die Betrugstaten ein. Aber obwohl er als Gesellschafter und Geschäftsführer einer von ihm gegründeten Service GmbH, die die drei Testzentren betrieb, eingetragen war, will er nur als eine Art Strohmann für die eigentlichen Köpfe gearbeitet haben.

Der Angeklagte soll insgesamt rund 120.000 Euro erhalten haben. Er gab sich weitgehend ahnungslos: „Das wurde alles hinter meinem Rücken gemacht. Die haben mich nur ausgenutzt und sind dann verschwunden“, sagte der junge Mann in perfektem Deutsch. Seine Sprachkenntnisse seien wohl auch für seine Beteiligung an dem Betrug entscheidend gewesen, weil er zwischen verschiedenen kurdischen Dialekten und Kosovaren habe übersetzen können. Der Angeklagte: „Ich habe nur meinen Namen gegeben.“

Die Testzentren in Leipzig und Braunschweig habe er nie gesehen. In Kassel sei er mal zwei bis drei Stunden gewesen und habe gemeinsam mit seinem Vater ein paar Abstriche vorgenommen. Die anderen Tester kenne er gar nicht, von einem nur den Vornamen. Auch wie viele Beschäftigte in seiner GmbH gearbeitet haben, wisse er nicht. Seine Freundin habe in Kassel für 3800 Euro netto gearbeitet, da habe er „nicht viel nachgefragt“.

Festnahme beim Geldabheben

Oberstaatsanwalt Stephan Schwirzer beschrieb in seiner Anklage die Schritte zum Betrug: Schon als der Angeklagte 2019 eine GmbH gründete, die Auslieferungsfahrten für Amazon übernahm, sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen: Vor der Unterzeichnung beim Notar habe der Angeklagte 12 500 Euro Stammkapital eingezahlt, die noch am selben Tag wieder abgehoben wurden. Das selbe Spiel wiederholte sich im Februar 2020, als die Service GmbH für die Testzentren gegründet wurde.

Knapp sechs Euro zahlte die Kassenärztliche Vereinigung für jeden Schnelltest gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, zwölf Euro für jeden Nasen- und Rachenabstrich.

Eigentlich hätten die Daten über die erfolgten Tests bis Ende 2024 aufbewahrt werden müssen. Jedoch, so Schwirzer, wurden sie entweder gar nicht erst erhoben oder später vernichtet.

Am 18. März 2021 vergab das Gesundheitsamt Kassel laut Schwirzer den Auftrag zum Betrieb des Testzentrums in Kassel an die Service GmbH, die im April die Arbeit aufnahm. Angeblich 40 000 Tests sollten im April vorgenommen worden sein. Tatsächlich, so der Ankläger, seien es aber nur 18.000 gewesen. 22.000 nicht erbrachte Leistungen wurden der KV mit 328.000 Euro in Rechnung gestellt, die insgesamt 552.000 Euro überwies.

Das Geld wurde laut Schwirzer von dem allein verfügungsberechtigen Angeklagten in mehreren Tranchen bar abgehoben. Der 27-Jährige will das Geld sofort an seine Hintermänner übergeben haben, gegen die gesondert ermittelt wird.

Weil die Sparkasse aber Ermittlungen wegen des Verdachts auf Geldwäsche aufgenommen hatte, eröffnete der Angeklagte bei der Raiffeisen Volksbank Baunatal ein weiteres Konto, auf das er Geld transferierte. Als er das in Begleitung eines seiner „Partner“ abheben wollte, klickten die Handschellen.

Im Mai 2021 hatten das Regierungspräsidium und das Gesundheitsamt Kassel das Testzentrum in Kassel überprüft und dabei so gravierende Mängel festgestellt, dass der Betrieb sofort untersagt wurde. Die Dokumentation sei mangelhaft gewesen, die Abstriche im vorderen Nasenbereich statt im Rachenraum waren so unsachgemäß, dass eine vorhandene Infektion nicht nachweisbar gewesen wäre. Auch die Auswertung der Testergebnisse sei fehlerhaft gewesen. Zudem habe ein Konzept für den Umgang mit positiv getesteten Kunden gefehlt.

Die Schließung des Zentrums habe die Betreiber aber nicht daran gehindert, auch im Folgemonat Mai rund 55.000 Tests im Wert von insgesamt 751.000 Euro abzurechnen, sagte der Staatsanwalt. Die Kassenärztliche Vereinigung habe im Glauben, alles sei korrekt gelaufen, 736.000 Euro überwiesen, von der Schließung des Zentrums habe sie nichts gewusst.

Parallel dazu eröffneten der Angeklagte und seine Mittäter laut Schwirzer weitere Testzentren in Leipzig und Braunschweig. Anfangs wurden in Leipzig nur die Auslieferungsfahrer für Amazon getestet, später aber auch normales Publikum. Letztlich wurden laut Anklage aus Leipzig von der KV Sachsen 683.000 Euro für nie erbrachte Corona-Tests auf die Kasseler Konten überwiesen. Aus Braunschweig folgten 363.000 Euro von der KV Niedersachsen.

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