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Seit 1849 sicher in Kassel verwahrt: Original-Exemplar der Paulskirchenverfassung

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Von: Andreas Hermann

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Mit Doppeladler auf Goldgrund: Brigitte Pfeil, die Leiterin der Sondersammlungen, mit dem Ledereinband der in Kassel verwahrten Reichsverfassung von 1849.
Mit Doppeladler auf Goldgrund: Brigitte Pfeil, die Leiterin der Sondersammlungen, mit dem Ledereinband der in Kassel verwahrten Reichsverfassung von 1849. © Fischer, Andreas

Ein Exemplar der drei Verfassungsurkunden von 1849 befindet sich in Kassel.

Kassel – Dass sich in der Landesbibliothek und der Murhardschen in Kassel historische Schätze wie das Hildebrandslied aus dem Mittelalter befinden, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass dort auch ein bedeutendes Dokument des deutschen Parlamentarismus verwahrt wird: die 1849 von der Frankfurter Paulskirchenversammlung beschlossene Verfassung des Deutschen Reiches. Das sogenannte Kasseler Original spielte auch am Wochenende in Frankfurt bei den Feierlichkeiten zu 175 Jahre Nationalversammlung keine Rolle.

Das Kasseler Exemplar ist eines von drei Exemplaren des ersten Druckes der Reichsverfassung von 1849. Ob es als Erinnerungsstück gedacht war oder als Zweitexemplar dienen sollte, ist unklar. Tatsächlich aber ist das Kasseler Original der Paulskirchenverfassung das einzige, das unversehrt geblieben und dessen Verbleib über alle Jahrzehnte hinweg bekannt und sicher gewesen ist.

Die erste Verfassungsurkunde, gedruckt auf Pergament, hat eine wahre Odyssee hinter sich, die von einem Firmentresor in England über einen Archivraub in Berlin und bis zum zufälligen Fund in einem Potsdamer Schutthaufen reicht. Die Pergament-Urkunde befindet sich heute im Historischen Museum in Berlin.

Eine weitere auf Papier gedruckte Urkunde gilt bereits seit 1849 als verschollen. Nämlich seit dem 3. April des Jahres, als Abgeordnete der Nationalversammlung bei der sogenannten Kaiserdeputation die Verfassung dem preußischen König überreichten und ihm vergeblich die Kaiserkrone anboten.

Nur das Kasseler Original überstand die 174 Jahre, sicher verwahrt im Bestand der Landesbibliothek und der Murhardschen, durch Auslagerung auch den Bombenangriff am 22. Oktober 1943.

Noch bis September zeigt eine Ausstellung im Berliner Reichstag die Geschichte der Paulskirchenverfassung auf (siehe Hintergrund). Im Mittelpunkt steht das Original aus Pergament, aber erstmals wird auch das Kasseler Exemplar thematisiert. Demnach hatte sich die ab 18. Mai 1848 in der Paulskirche zusammengekommene Nationalversammlung, die aus 585 Abgeordneten aus 35 deutschen Staaten und vier freien Städten bestand, Ende März 1849 auf eine gemeinsame Verfassung geeinigt. Präsident Eduard Simson ließ die Verfassungsurkunde auf den 28. März datieren und zur Unterzeichnung auslegen. 405 Unterschriften kamen zusammen. Einige Abgeordnete waren bereits abgereist.

Der Druck auf der Rückseite des Titelblattes zeigt, dass die Druckerei noch eine weitere Urkunde herstellte. Warum, bleibt unklar. Klar ist aber, dass ihr Verbleib mit einer Person verbunden ist: Der Kasseler Bibliothekar Karl Bernhardi, bis 21. Mai 1849 selbst Abgeordneter der Nationalversammlung, brachte die Reichsverfassung aus Frankfurt mit und nahm sie am 4. Juni 1849 in den Bestand der Landesbibliothek Kassel auf. Die Urkunde ist auf Papier gedruckt und wurde erst nachträglich unterzeichnet. Deshalb finden sich nur die Unterschriften von 212 Abgeordneten darauf.

Vermutet wird, dass Bernhardi weitere Abgeordnete nicht mehr erreichte. Als sich das Scheitern der Paulskirchen-Revolutionäre abzeichnete, ließ er unter dem Druck der Reaktion die Verfassung in der Bibliothek „verschwinden“. Sie blieb in Kassel sicher verwahrt – bis heute.

Auf dem Exemplar der Paulskirchenverfassung, das er 1849 mit nach Kassel nahm und der Landesbibliothek schenkte, hat Karl Bernhardi (1799 bis 1874) unter Nummer 205 seinen eigenen Namen gesetzt. Er war vom 18. Mai 1848 bis 21. Mai 1849 Mitglied der Nationalversammlung für den Wahlkreis Kurhessen in Eschwege.

In Ottrau in der Schwalm geboren, war Bernhardi nach dem Theologiestudium zunächst Hauslehrer des Grafen Bylandt in Brüssel und Universitätsbibliothekar im belgischen Löwen. 1830 trat er als Bibliothekar der Landesbibliothek in Kassel die Nachfolge von Jacob Grimm an.

Die Stadt würdigt Bernhardi auf kassel.de für seine „einzigartige Sprachkarte“, die er der Nationalversammlung präsentierte. Darauf hatte er eingezeichnet, wo sich der deutsche Sprachraum befindet. Diese Sprachgrenzen sollten die natürlichen Grenzen Deutschlands bilden. 1859 wurde Karl Bernhardi zum Ehrenbürger der Stadt Kassel ernannt. 2005 wurde die Straße hinter dem Fridericianum nach ihm benannt.

Hintergrund

Die Ausstellung „Odyssee einer Urkunde. Die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849 – Deutsche Geschichte(n) in einem Dokument“ ist noch bis zum 8. September in der Abgeordnetenlobby des Berliner Reichstags zu sehen. Die informative Begleitbroschüre zu der Ausstellung, die auch das Kasseler Original thematisiert, ist online auf bundestag.de abrufbar.

Auf der Online-Plattform orka.bibliothek.uni-kassel können die einzelnen Seiten der Kasseler Verfassungsurkunde unter dem Stichwort „Verfassung des Deutschen Reiches“ aufgerufen werden.

(Andreas Hermann)

Seine Unterschrift hinter Nummer 205: Bibliothekar Karl Bernhardi, der die Original-Urkunde der Paulskirchenverfassung mit nach Kassel nahm, unterschrieb als eines der letzten Mitglieder der Nationalversammlung.
Seine Unterschrift hinter Nummer 205: Bibliothekar Karl Bernhardi, der die Original-Urkunde der Paulskirchenverfassung mit nach Kassel nahm, unterschrieb als eines der letzten Mitglieder der Nationalversammlung. © andreas fischer

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