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Bühne frei für kleine Steine am Straßenrand

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Von: Christina Hein

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Als der Vorplatz der Friedenskirche in Kassel saniert wurde, hat man sich auch des Kleinpflasters angenommen.
Pracht zu Füßen: Als der Vorplatz der Friedenskirche saniert wurde, hat man sich auch des Kleinpflasters angenommen. Es bietet heute einen seltenen schönen Anblick. © Christina Hein

Zahlreiche Kleinpflaster schmückten einst den Stadtteil Vorderer Westen. Der Ortsbeirat will jetzt seine Dispomittel einsetzen, um die gefährdeten Kleinode zu sanieren.

Vorderer Westen – Es befindet sich in einem bedauernswerten, man kann auch sagen, erbärmlichen Zustand: das Kleinpflaster, das im Vorderen Westen Straßenränder ziert und eigentlich ein attraktives Alleinstellungsmerkmal des Stadtteils ausmachen könnte. Einen solchen urbanen Schmuck zur Erbauung der Anwohner und Fußgänger gibt es sonst nirgendwo in der Stadt.

Sigmund Aschrott (1826 -1915), der Erschaffer des Quartiers, hatte bei der Planung der Straßen auf dem Reißbrett nicht nur auf schöne Achsen und Ausblicke auf den Herkules geachtet. Er hatte sich auch Gedanken um kleinste Schmuckelemente im neuen Baugebiet gemacht und dafür gesorgt, dass Kilometer schwarz-weiße Mosaikstreifen im Vorderen Westen verlegt wurden.

Hans-Helmut Nolte (links) und Willi Schaumann neben einem überteerten Mosaik an der Friedrich-Ebert-Straße nahe Bebelplatz.
Unschöne Ansichten: Hans-Helmut Nolte (links) und Willi Schaumann neben einem überteerten Mosaik an der Friedrich-Ebert-Straße nahe Bebelplatz. © Christina Hein

Heute scheint das kaum jemanden zu interessieren. Der Zahn der Zeit nagt an den steinernen Kunstwerken, sie werden von parkenden Fahrzeugen zerstört und wenn die Flächen Erdarbeiten im Weg sind, werden sie nachher nicht wieder hergestellt. Beschädigtes wird von der Stadt Kassel nicht erneuert. Vielerorts sind Mosaike sogar von Asphalt zugedeckt.

Gras wächst über dieses Kleinpflaster (Pestalozzistraße).
Vegetation: Gras wächst langsam über dieses Kleinpflaster (Pestalozzistraße). © Christina Hein

Der Ortsbeirat Vorderer Westen will das nicht länger hinnehmen und der langsamen Zerstörung des Kleinpflasters ein Ende setzen. Er hat beschlossen, seine Dispomittel zum Unterhalt von Straßen, Wegen und Grünanlagen in nächster Zeit ausschließlich in die Sanierung der Kleinpflaster zu investieren. Mit viel Herzblut haben sich federführend die Stadtteilpolitiker Hans-Helmut Nolte und Willi Schaumann des Projekts angenommen. Beide sind für die Grünen im Ortsbeirat. „Das Mosaikpflaster in vielen Straßen des Vorderen Westens ist ein wichtiger Teil der historischen Identität und des Straßenbilds“, erklären sie. „Besser: war es einst.“ Denn seit einigen Reparaturen, die Jahrzehnte zurücklägen, und Neupflasterungen, zum Beispiel im Kirchweg, sei „trotz vieler Bekundungen, wie schön das Pflaster ist“, nichts Konstruktives passiert. Der Zustand, in dem es sich befindet, reicht von asphaltiert, fast vollständig zerstört, von Vegetation überwuchert, durch anderes Pflaster ersetzt bis hin zu – ganz selten – fachgerecht saniert, etwa vor der Friedenskirche.

Hier haben Anwohner das Kleinpflaster gepflegt. (Pestalozzistraße in Kassel).
Lichtblick: Hier haben Anwohner das Kleinpflaster gepflegt. (Pestalozzistraße). © Christina Hein

Der Ortsbeirat Vorderer Westen will jetzt durch den kontinuierlichen Einsatz seiner Dispositionsmittel konkrete Maßnahmen zur Wiederherstellung, Reparatur und Ergänzung des Mosaikpflasters auf den Weg bringen. Künftig soll in jedem Jahr – in Abstimmung mit den zuständigen Fachämtern – mindestens ein Projekt Mosaikpflaster realisiert werden. Die Höhe der eingesetzten Mittel richtet sich nach den Kosten der jeweiligen Maßnahmen, sollen aber jährlich mindestens 5000 Euro betragen. Insgesamt möchten Nolte und Schaumann das Mosaikpflaster wieder ins Bewusstsein der Stadtteilbewohner rücken.

Neben der Finanzierung einer sukzessiven Sanierung können sie sich auch vorstellen, Frewilligen-Aktionen anzuzetteln, bei denen gemeinsam die Spontanvegetation auf dem Pflaster entfernt wird.

Statt Kleinpflaster gibt es hier einen Flickenteppich (Pestalozzistraße).
Verwahrlost: Statt Pflaster gibt es hier einen Flickenteppich (Pestalozzistraße). © Christina Hein

„Breite, angenehm gestaltete Gehwege sind ein typisches Gestaltungsmerkmal des gründerzeitlichen Städtebaus. Prominieren und Flanieren waren Bestandteile der bürgerlichen Kultur“, heißt es in einer Arbeit, die Alexander Gottfried, betreut von Verkehrsplaner Andreas Schmitz, 2006 erstellt hat: „Der Bürgersteig war Teil der Emanzipation des Bürgertums, deswegen auch ‘’Bürger’’steig.

Diese neue Pflasterfläche am Kirchweg hat mit dem Original nichts mehr zu tun.
Ersetzt: Diese neue Pflasterfläche am Kirchweg hat mit dem Original nichts mehr zu tun. © Christina Hein

Im Vorderen Westen sind viele gründerzeitliche Gehwege vorhanden stellte Schmitz fest. Die typische Aufteilung: ein Oberstreifen zur Hauswand, eine Gehbahn und der Unterstreifen zur Fahrbahn. Ober- und Unterstreifen waren aus Mosaikpflaster. Gottfried dokumentierte 88 Stellen mit Mosaikpflaster – häufig nur noch in Fragmenten. An einigen Stellen sei das Pflaster erneuert worden, vor allem mit Mitteln des Ortsbeirats: im Kirchweg und in der Pestalozzistraße. Insgesamt wurde an 44 Stellen Mosaike rekonstruiert. Zu deren Vernachlässigung heißt es: „Die öffentlichen Haushalte können eine kontinuierliche Pflege nicht mehr finanzieren. Hier könnten neue Formen wie Pflasterpatenschaften vielleicht die fehlenden öffentlichen Finanzen durch bürgerschaftliches Engagement ersetzen.“

(Christina Hein)

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