Vinyl ist Wellness für die Ohren: Bus voller Schallplatten kommt nach Kassel

Michael Lohrmann gab Magazine über Schallplatten heraus – nun kommt er mit einem Bus voller Platten nach Kassel.
Kassel/Dortmund – An einem Abend vor 13 Jahren hat Michael Lohrmann eine alte Liebe wiederentdeckt. Der Macher von Magazinen wie „Visions“ und „Galore“ wollte mit einem Kumpel mal wieder Schallplatten hören wie früher. Bis morgens um fünf legten die beiden alte Musik immer wieder neu auf. „Seitdem bin ich dem Vinyl verfallen“, sagt Lohrmann.
Es dauerte dann noch einige Jahre, bis der Dortmunder seinen Verlag verkaufte, in dem auch „Mint“ erschien, ein „Magazin für Vinyl-Kultur“. Er wollte noch mal etwas Neues machen. Lohrmann baute einen amerikanischen Schulbus zu einem fahrenden Schallplattenladen um. Heute tourt der 52-Jährige mit seinem ungewöhnlichen Gefährt durch Gegenden, in denen es keinen Plattenladen mehr gibt. Morgen macht er Station in Kassel.
Mit seinem Halt dort nimmt es Lohrmann nicht so genau, denn mit Scheibenbeisser sowie Lost & Found gibt es hier zwei Plattenläden, die sich über die Stadt hinaus einen Namen gemacht haben. Lohrmann will ihnen keine Konkurrenz machen, aber er war gerade in der Nähe und hatte eine Einladung der Sound Brothers bekommen.

Dort können Musikliebhaber morgen Nachmittag etwa 4000 gebrauchte LPs durchstöbern – von Rock über Jazz bis Avantgarde, darunter viele seltene Stücke. Zuhause hat Lohrmann sogar mehr als 30 000 Exemplare. Die Preise für die mit einer Ultraschall-Plattenwaschmaschine gesäuberten Scheiben liegen zwischen 5 und 100 Euro.
Mit seinem Vinyl-Bus hat der Westfale auf ein Nischengeschäft gesetzt, das seit Jahren boomt. Obwohl Musik im Digitalzeitalter vor allem gestreamt wird, werden Schallplatten weiter gehört. Im vorigen Jahr stieg der Vinyl-Umsatz um 12,3 Prozent.
Auch Lohrmann schätzt die Vorzüge des Digitalen. Einen Plattenspieler nimmt man eher nicht zum Joggen mit. Für Musik beim Sport ist das Smartphone geeigneter. Lohrmann legt Schallplatten auf, „wenn ich konzentriert Musik hören will“. Es geht ihm nicht nur um den wärmeren Klang, sondern auch um das Ritual: die Platte aus der Hülle nehmen, sie mit der Bürste säubern, die Nadel auflegen, das Knistern hören und nach 20 Minuten konzentriertem Zuhören umdrehen und alles wieder von vorn machen. „Wenn man das macht, ist das eine Form der Entschleunigung und irgendwie auch Wellness“, sagt Lohrmann.
Es sind nicht nur mittelalte Männer, die wie Lohrmann Schallplatten noch von früher kennen und sie heute schätzen. Als er vor der Pandemie mit seinem Vinyl-Bus startete, sei niemand eingestiegen, der jünger als 30 war. Heute seien bis zu 30 Prozent seiner Kunden aus dieser Altersgruppe. Auch sie haben sich in Vinyl verliebt.
Vinyl-Bus: Donnerstag (14 bis 19 Uhr) bei Sound Brothers, Wolfsschlucht 17. vinylbus.de