Städtische-Werke-Chef Maxelon: Normales Preisniveau für Gas wird auch nach der Krise höher liegen

Die Energiekrise hat uns diesen Winter begleitet – bange Fragen inklusive: Geht womöglich das Gas aus? Und: Kann ich meine Rechnung noch bezahlen? Wie die Lage sich derzeit darstellt, darüber haben wir mit Michael Maxelon gesprochen, dem Geschäftsführer der Kasseler Verkehrs- und Versorgungs-GmbH (KVV).
Die ersten Wintermonate liegen hinter uns, die Gasspeicher sind noch relativ voll. Sind wir über den Berg, Herr Maxelon?
Für diesen Winter sind wir über den Berg. Ich war kürzlich bei einem Branchentreff, wo auch Vertreter der Bundesnetzagentur referiert haben. Die deutschen Gasspeicher sind zu 84 Prozent gefüllt. Da müsste es schon dicke kommen, wenn uns diesen Winter noch Ungemach droht. Wenn Deutschland aus diesem Winter mit einem Füllstand der Gasspeicher von mindestens 40 Prozent rauskommt, wäre dies eine gute Grundlage für den nächsten Winter. Wie die Lage dann aussehen wird, da traue ich mir keine Voraussage zu.
Warum sind Sie unsicher?
Im vergangenen Jahr konnten wir die Speicher noch zu mehr als 50 Prozent mit russischem Gas füllen. In diesem Jahr müssen die Speicher über die neuen Flüssiggasterminals gefüllt werden. Mit Norwegen und Belgien gibt es weitere Lieferanten. Dazu brauchen wir aber noch weitere Lieferanten. Davon hängt nach jetziger Einschätzung wesentlich ab, wie sich die Situation im nächsten Herbst darstellt.
Bereits seit Anfang September sinken die Handelspreise für Gas wieder. Inzwischen liegen sie auf dem Vorkriegs-Niveau von Anfang 2022. Wieso erhalten Kunden der Städtischen Werke weiter Anschreiben mit Preiserhöhungsankündigungen?
Lassen Sie mich kurz auf die Entwicklung der Energiepreise eingehen. Vor dem Ukraine-Krieg lagen die Verbraucherpreise für Erdgas zeitweise bei nur sechs bis sieben Cent pro Kilowattstunde. Damals gab es Großhandelspreise von 15 bis 20 Euro pro Megawattstunde. Nachdem für die gleiche Menge im vergangenen Sommer zeitweise bis zu 370 Euro auf den Weltmärkten aufgerufen wurden, sind wir inzwischen wieder bei 60 bis 70 Euro angekommen. Nur: Das niedrige Preisniveau der Vorkriegszeit werden wir in absehbarer Zeit kaum erreichen. Das hängt mit den neuen, komplizierten Lieferwegen und damit höheren Beschaffungskosten zusammen. Das neue normale Preisniveau wird auch nach der Krise auf einem höheren Niveau liegen.
Laut Vergleichsportal Verivox liegt der durchschnittliche Gaspreis in Deutschland aktuell bei 12 Cent pro Kilowattstunde. Mit welchem Preis müssen Ihre Kunden rechnen?
Die Bundesregierung hat für 80 Prozent des Erdgasverbrauches der jeweiligen Haushalte eine Preisbremse bei 12 Cent pro Kilowattstunde festgelegt. Das entspricht zwar einer Verdopplung des Preises im Vergleich zu 2021. Allerdings ist das ein vom Marktgeschehen realistisch abgeleiteter Wert. Wir werden unseren Grundversorgertarif in Kassel zum 1. März auf 14,8 Cent anheben. Dies tun wir ganz bewusst erst jetzt, wenn die Preisbremse greift.
Haben die Städtischen Werke vergangenes Jahr ebenfalls zu horrenden Preisen Gas einkaufen müssen?
Wir haben vergangenes Jahr für unsere turnusgemäße Beschaffung für die Bestandskunden, die über mehrere Jahre läuft, kaum Gas für die nächsten Jahre gekauft. Allerdings haben uns die explodierenden Preise an anderer Stelle getroffen. Weil viele günstige Energieanbieter infolge der Krise ihren Kunden gekündigt haben, landeten monatlich mehrere Hundert Neukunden bei uns als zuständigem Grundversorger. Für diese Neukunden hatten wir im Vorfeld natürlich kein Gas beschafft. Also mussten wir es zu hohen Preisen am Spotmarkt zukaufen.
Spüren Sie denn, dass viele Kunden ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können?
Eine solche Entwicklung ist aktuell nicht zu beobachten. Wir haben keine signifikant höhere Zahl säumiger Kunden. Viele Kunden haben die von uns vorgeschlagenen höheren Abschläge angenommen oder auch selbst die Abschläge erhöht. Das hilft jetzt. Den Kunden und uns. Der eine oder andere Gewerbetreibende hatte aber große Schwierigkeiten, die Energiekosten zu tragen.
Was muss getan werden, um die Preisentwicklung zu dämpfen?
Diese Frage spricht die grundsätzliche Entwicklung der Energiewirtschaft an. Um einen nachhaltigen Effekt zu erreichen, müssen wir strukturell entgegensteuern, zum Beispiel mit dem Bau von LNG-Terminals. Für uns als lokales Stadtwerk ist es entscheidend, den Ausbau bei den erneuerbaren Energien zu forcieren. Lassen Sie es mich so sagen: Jede Windkraftanlage zählt, jede PV-Anlage hilft uns weiter, die Versorgung nachhaltig zu sichern und die stark schwankenden Preise an den Märkten zu stabilisieren.
Müssen sich Verbraucher auch künftig auf steigende Energiepreise einstellen?
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Ausfall der russischen Erdgaslieferungen, die hohe Volatilität der Energiemärkte – das ist unsere Realität. Heißt: Noch müssen wir mit schwankenden Märkten rechnen, und daher werden vermutlich auch weiterhin Preisanpassungen notwendig werden. Ich möchte hier aber eines klar sagen: Die Städtischen Werke profitieren nicht vom Krisengeschehen. Im Gegenteil. Wir tun nur unser Bestes, mit den damit nachteiligen verbundenen Folgen, auch für unsere Kunden, verantwortungsvoll umzugehen.
Auf was müssen sich Ihre Fernwärmekunden einstellen?
Bei der Fernwärme haben wir eine stabile Versorgung. Unsere Kraftwerke laufen mit Müll, Kohle, getrocknetem Klärschlamm, aber eben auch mit Gas. Auch bei der Fernwärme gab es Preiserhöhungen, die haben aber bereits zum Jahreswechsel stattgefunden.
Landet der Ärger über die Preise auch bei Ihrem Kundenservice?
Verständlicherweise hatten wir in den vergangenen Monaten wegen der Energiekrise sehr viele Anfragen. Unsere engagierten Kolleginnen und Kollegen mussten viel von der Aufklärungsarbeit erledigen, die, erlauben Sie mir das offene Wort, eigentlich die Bundesregierung hätte leisten müssen. Das haben unsere Mitarbeitenden mit Bravour gemeistert. Ihnen und allen Mitarbeitenden der Städtischen Werke gebührt mein Dank für Einsatz, um diese herausfordernden Zeiten gemeinsam so gut wie möglich zu bewältigen. (Bastian Ludwig und Florian Hagemann)
Zur Person: Dr. Michael Maxelon (53) ist seit 2016 Geschäftsführer der Kasseler Verkehrs- und Versorgungs-GmbH (KVV). Zugleich ist er Vorstandsvorsitzender der Tochterunternehmen der KVV, der Städtische Werke AG und der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft (KVG). Er ist in Vellmar aufgewachsen. Der promovierte Physiker hat zusätzlich Wirtschaftswissenschaften an der Universität Göttingen studiert. Anschließend war er bei einer Managementberatung in Frankfurt tätig, bevor er zu den Stadtwerken Krefeld (2008-2012) wechselte. Bis zu seiner Rückkehr in die Heimat war er Geschäftsführer der Stadtwerke Stuttgart. Maxelon lebt in Kassel.