Studium ohne Abitur an der Uni Kassel: „Es ging viel leichter, als ich dachte“
Mit 40 hat Kfz-Meister Florian Strecker nochmal angefangen, an der Uni Kassel zu studieren. Wie lief der Einstieg für den Familienvater?
Kassel – Florian Strecker ist auf dem Weg in eine zweite berufliche Karriere. Zwanzig Jahre hat der heute 40-Jährige nach Realschulabschluss und Lehre als Kfz-Mechaniker gearbeitet, zuletzt als angestellter Kfz-Meister in Witzenhausen, wo er auch heute noch mit seiner Familie wohnt.
Nun studiert der Vater eines vierjährigen Sohns und einer einjährigen Tochter im zweiten Semester im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit an der Universität Kassel und ist zufrieden mit seinem neuen Leben. „Ich baue mein Studium um die Familie drum herum“, sagt er. Die guten Rahmenbedingungen an der Uni hätten ihm sehr geholfen, Familie, Kinderbetreuung und Studium miteinander zu vereinbaren.
Uni Kassel: Gute Noten des Meister-Zeugnisses berücksichtigt
Nach der Geburt seines Sohnes sei ihm klar geworden, dass er nicht dauerhaft als Kfz-Mechaniker arbeiten wollte, sondern eine ihn mehr erfüllende Aufgabe finden musste. Ihm habe die Betreuung des Kindes viel Spaß gemacht. Strecker ging damals in eine dreijährige Elternzeit, während seine Frau in Vollzeit den Lebensunterhalt der Familie verdiente. Das tut sie auch heute noch. In Strecker reifte der Plan, mit seinem Meisterbrief zu studieren, um später einen sozialen Beruf auszuüben. In diesem Bereich habe er schon seinen Zivildienst abgeleistet, erzählt der Witzenhäuser.

Die Bewerbung um einen Studienplatz in Kassel sei unbürokratisch verlaufen. „Das ging viel, viel leichter als ich dachte. Es war gut, dass ich bei Fragen immer einen Ansprechpartner an der Uni hatte“, sagt Strecker. Trotz des Numerus clausus im Studienfach habe er einen Platz erhalten, weil die guten Noten seines Meister-Zeugnisses berücksichtigt worden seien.
Service
Info-Veranstaltung zum Thema am Donnerstag, 23. Juni, 17 bis 19 Uhr, Campus Center, Moritzstr. 18, Seminarraum 3.
Der Einstieg in das Studium sei ihm leichtgefallen. „Ich habe mir Lerngruppen gesucht. Allein studieren geht nicht“, sagt Strecker. Ihn habe überrascht, in seinem Studiengang weitere und teils ältere Quereinsteiger zu treffen. Das Organisieren der Lehrveranstaltungen habe ihm keine Probleme bereitet, weil er auch als Kfz-Meister gewohnt gewesen sei, selbstständig zu arbeiten. Und bei der Vergabe von Seminarplätzen in Kassel werde er als zweifacher Familienvater bevorzugt.
Uni Kassel: Quereinsteiger profitiert von Stipendium
Dennoch sei ein Studium als Vater kleiner Kinder „definitiv herausfordernd“. Er könne sich aber auf die Unterstützung der Großeltern und einiger Freunde verlassen, sagt Strecker. Daher habe er das gute Kinderbetreuungsangebot, was es an der Uni gebe, nicht in Anspruch nehmen müssen. Außerdem profitiere er von den Online-Lehrveranstaltungen, die die Uni anbiete. Dann muss Strecker manchmal nicht mit dem Zug pendeln. Finanziell muss sich der 40-Jährige keine Sorgen machen. Er hat ein Stipendium der SBB erhalten – der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Stiftung Begabtenförderung berufliche Bildung. (Peter Dilling)
Uni lockt immer mehr Quereinsteiger
Noch immer ist das Abitur oder das Fachabitur der Königsweg zum Studium an einer Universität. Doch die Zugangsbarrieren für Quereinsteiger sind in den vergangenen Jahren von der Landesregierung stetig gelockert worden. Das spürt auch die Universität Kassel: In den vergangenen 13 Jahren hat sich die Zahl der Studierenden, die ohne Abi studieren, auf jetzt 460 Kommilitonen vervierfacht. Ihnen haben ein Meisterbrief, ein qualifizierter Berufsabschluss und eine mehrjährige Berufserfahrung die Türen zu den Hörsälen geöffnet.
„Wir begrüßen es, wenn junge Menschen auch ohne Abitur den Weg an unsere Universität finden. Der eine oder andere von ihnen muss gerade zu Beginn des Studiums mehr investieren, das fordert auch uns als Universität heraus. Beispielsweise bieten wir Vorkurse in Mathematik oder anderen Fächern an. Wir finden, dass sich diese Mühe lohnt – für uns und für diese Studierenden. Denn dadurch öffnen sich Möglichkeiten und Lebenswege, die sonst verwehrt blieben“, sagt Uni-Präsidentin Ute Clement.
Für solche Quereinsteiger ins Studium gibt es drei Wege: Der Meisterbrief in einem anerkannten Handwerksberuf oder bestimmte Fortbildungsabschlüsse – beispielsweise als staatlich geprüfter Techniker, als staatlich anerkannte Erzieherin oder Erzieher, oder als geprüfter Betriebswirt berechtigen zum allgemeinen Hochschulzugang. Man kann also im Prinzip alles studieren. Wer einen anerkannten Ausbildungsberuf und mindestens zwei Jahre Berufspraxis in Vollzeit vorweisen kann oder wer die Mittlere Reife, eine dreijährige Berufsausbildung und ein gutes Lehrlingszeugnis hat, kann fachbezogen studieren. Wem der Meistertitel oder eine vergleichbare Qualifikation fehlt, der muss allerdings eine kostenpflichtige Aufnahmeprüfung absolvieren.
Der Trend zum Quereinsteiger-Studium gilt hessenweit: Laut einer Pressemitteilung von Wissenschaftsministerin Angela Dorn hat die Gesamtzahl der Studierenden ohne Abi mit 6548 einen neuen hessischen Rekord erreicht. 2020 hatten 2,32 Prozent aller Uni-Absolventen kein Abitur. Bundesweit liege man damit über dem Bundesdurchschnitt, heißt es aus dem Ministerium.
Die Uni Kassel investiert sechs Millionen Euro in die Villa Rühl. Dort soll das Internationale Zentrum für Hochschulforschung (INCHER) einziehen.