Vereinfacht ausgedrückt unterliegen Behörden wie die Stadtverwaltung Kassel kraft Gesetzes zwei Aufgabenkreisen. Das sind zum einen Selbstverwaltungsaufgaben und zum anderen Weisungsaufgaben und Auftragsangelegenheiten. Einige Beispiele für Auftragsangelegenheiten sind die Allgemeine Ordnungsbehörde, die Katastrophenschutzbehörde oder eben die Straßenverkehrsbehörde. Im Rahmen der Auftragsangelegenheiten hat der Oberbürgermeister die alleinige Verantwortung. Straßenverkehrsbehörde der Stadt Kassel und damit Verkehrsdezernent in diesem Sinne war und ist also der Oberbürgermeister. Er kann sich eines Vertreters bedienen, der ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben verantwortlich ist. Dessen Bestellung kann jedoch jederzeit widerrufen werden. Dies ist beim Kollegen Nolda geschehen.
Also wer ist jetzt Verkehrsdezernent?
Dieser Begriff führt häufig zu Irrungen. Verkehrsaufgaben im kommunalen Bereich sind mannigfaltig. Während die Straßenverkehrsbehörde sich um das Recht auf der Straße kümmert, gibt es weitere Aufgaben wie Straßenbau oder Mobilitätsfragen. Nach wie vor ist Christof Nolda für derartige Aufgaben zuständiger Kollege.
Das heißt: Wer ist jetzt für Verkehrsversuche zuständig?
Der Oberbürgermeister und wieder neu in seiner Vertretung Dirk Stochla. Er genießt mein Vertrauen, weil er die Angelegenheiten nicht nur vorher mit mir bespricht, sondern sich auch hinterher daran hält.
Und dieses Besprechen hat mit Herrn Nolda nicht geklappt?
Nein, das ist genau das Problem. Ein Beispiel: Vor längerer Zeit war Georg Förster, der zuständige Amtsleiter, im Auftrag von Herrn Nolda bei mir und hat mir einige Themen vorgestellt – so, wie sich das gegenüber dem Behördenleiter gehört. Es ging um Tempo 30 in der Nacht in einigen Zonen und Verkehrsversuche. Es gab offene rechtliche Fragen und Umsetzungshindernisse. Zudem war nicht geklärt, wie Tempo 30 überhaupt kontrolliert werden soll in den Nachtstunden. Kurzum: Das Vorhaben war inhaltlich überhaupt noch nicht ausgegoren, gleichwohl sollte es vom Kollegen Nolda auch noch unzuständigerweise in Magistrat und Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden. Deshalb habe ich dann gesagt: So könnt ihr das weder inhaltlich noch formell machen.
Und dann?
Ich habe alle diesbezüglichen Akten erbeten, um die Sache ordentlich voranzubringen. All das ist auch mehrfach, sogar schriftlich, an Christof Nolda kommuniziert worden. Nun liegen alle Unterlagen zunächst beim Rechtsamt zur Prüfung. Wenn diese erfolgt ist, will ich in den dann möglichen Tempo-30-Zonen die Umsetzungshindernisse angehen lassen.
Was ist jetzt aber mit den Verkehrsversuchen?
Es gab einige Vorschläge für Verkehrsversuche. Georg Förster hat sie mir in dem Gespräch ebenfalls vorgetragen, und wir haben besprochen, was machbar ist und was nicht. Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Verkehrsversuche, sonst hätte es nämlich auch den Verkehrsversuch Untere Königsstraße nicht gegeben. Ich habe nur etwas dagegen, wenn Hauptverkehrsstraßen betroffen sind und deren Leistungsfähigkeit dann womöglich nicht mehr gegeben ist. Das betraf zwei Vorschläge: den für die Wilhelmshöher Allee und den für den Steinweg. Bei beiden habe ich deutlich gesagt: Da machen wir keinen Verkehrsversuch. Christof Nolda waren auch hier die Ergebnisse des Gesprächs mit Georg Förster bekannt.
Also behaupten Sie, Herr Nolda wusste Bescheid und hat den Verkehrsversuch trotzdem vorangetrieben.
So ist es. Wenn man etwas nicht beherrscht oder versteht, ist es das eine. Wenn man sich dann aber auch noch bewusst nicht an Anweisungen hält, fühle ich mich hinter die Fichte geführt. Und deswegen habe ich seine Bestellung zu meiner Stellvertretung auch widerrufen. Das Gesetz überträgt dem Oberbürgermeister nun mal die alleinige Verantwortung, und somit haftet er auch allein. Haftung ist diesbezüglich ein sensibles Thema, weil es für den Bereich Steinweg/Friedrichsplatz für die Zeit der documenta noch ein Sicherheitskonzept geben wird.
Das Sicherheitskonzept – so war der vorgestellte Plan – sollte ja aber gerade verbunden werden mit dem Verkehrsversuch.
Während der internen Diskussion um das Sicherheitskonzept kam die Frage auf, ob man wie beim letzten Mal Fahrstreifen des Steinwegs einziehen muss, um Sperren in Form von Betonwänden aufzustellen. Und in dem Zuge wurde noch einmal die Idee eines Verkehrsversuchs vorgetragen. Ich habe erneut deutlich gesagt: nein. Zumal noch gar nicht feststeht, ob man Fahrstreifen einziehen muss, und während der documenta allein aus Sicherheitsgründen schon gar kein Verkehrsversuch stattfinden wird. Auch diese Aussage gab es mündlich wie schriftlich: und zwar von meiner Büroleiterin an Herrn Förster. Kollege Förster hat zudem Herrn Nolda noch einmal angeschrieben mit der Bitte, mit mir noch einmal das Gespräch darüber zu suchen, damit er nicht weiter in Loyalitätskonflikte gerät. Das Schreiben liegt mir vor.
Und hat es das Gespräch gegeben?
Bevor auch nur irgendein Gespräch stattgefunden hat, ist auf Christof Noldas Druck hin eine Mitarbeiterin in den Ortsbeirat Mitte geschickt worden, die dort leider den Teil eines nicht abgestimmten Sicherheitskonzepts öffentlich vorgestellt hat – inklusive einer Anhörung zum nicht genehmigten Vorhaben, einen Verkehrsversuch durchzuführen. Das war Anfang vergangener Woche, und ich wusste von nichts. Erfahren habe ich das Vorgehen aus der Berichterstattung Ihrer Zeitung. Daraufhin habe ich den Vorgang ermittelt und eine sachliche öffentliche Erklärung abgegeben, dass es so nicht kommen wird, und den Vorgang entschuldigt. Kollege Nolda hat darauf dann auch noch öffentlich persönlich reagiert und die grüne Fraktion reagieren lassen. Ungerechtfertigt persönliche Vorwürfe machen, statt zu verstehen – das war für mich allerspätestens der Punkt, an dem ich gesagt habe: Ich lasse mir doch nicht länger auf der Nase herumtanzen.
Man fragt sich aber schon, warum hat es im Vorfeld niemals ein klärendes Gespräch zwischen Ihnen und Herrn Nolda gegeben?
Im Vorfeld der Veröffentlichung der Sache durch eine Anhörung im Ortsbeirat? Das wüsste ich ehrlich gesagt auch gern vom Kollegen. Das lässt leider viel Raum für Spekulationen politischer Natur.
Aber wenn Christof Nolda Ihr Erfüllungsgehilfe in dem Bereich war: Warum haben dann nicht turnusgemäß Gespräche stattgefunden?
Die gibt es natürlich und in dem besagten Fall auch wie bereits erläutert. Herr Förster hat für Herrn Nolda das letzte Gespräch geführt.
Herr Nolda sagt, es hätte seit ewigen Zeiten kein Vier-Augen-Gespräch mit Ihnen mehr gegeben.
So? In meinem Kalender sind einige vorgemerkt. Sogar nochmal eines zu Verkehrsversuchen, leider hat er schon vorher den Gang in den Ortsbeirat veranlasst. Das ist die Wahrheit: Gespräche zwischen uns unter vier Augen hat es vielfach gegeben. Wenn hinterher aber nur äußerst selten das rauskommt, was man vorher besprochen hat, dann schickt es irgendwann auch mal. Weil ich aber professionell in meinem Job und überdies beharrlich bin, werde ich es natürlich weiter betreiben. Zudem sitzen wir jeden Montag in der Dezernentenkonferenz ausführlich zusammen – gerade um gemeinsam Beschlüsse und Abstimmungen in den Auftragsangelegenheiten zwischen uns herbeizuführen.
Aber ist es nicht das gute Recht eines politischen Wahlbeamten, auch Vorschläge einzubringen?
In dem Fall war es zum einen gar kein Vorschlag mehr, sondern als Anhörung im Ortsbeirat Teil des Verfahrens zum Verwaltungsakt und nicht sein Recht. Das scheint er aber nicht zu verstehen oder verstehen zu wollen, indem er öffentlich erklärt, er habe einen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag zwischen Grünen und SPD. Derartige Verträge regeln das Abstimmungsverhalten und politische Initiativen zwischen Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung, sie entfalten aber keinerlei Bindungswirkung gegenüber der Verwaltung oder Dezernenten. Die Dezernenten sind nur Recht und Gesetz und im Falle von Auftragsangelegenheiten zudem dem Oberbürgermeister verantwortlich.
Welche Auswirkungen hat die Abberufung Noldas für die grün-rote Koalition?
Aus meiner Sicht gar keine, weil kein Gegenstand des Koalitionsvertrages tangiert ist. Zudem hat weder mein Amtsvorgänger Bertram Hilgen noch habe ich irgendeinen Koalitionsvertrag unterzeichnet – aus gutem Grund: Ein Oberbürgermeister ist nur Recht und Gesetz und alle sechs Jahre durch die Direktwahl den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet.
Aber da arbeiten ja Menschen zusammen.
Fragen Sie mal mich. Meinen Sie, ich freue mich über die häufigen persönlichen Angriffe, insbesondere der Grünen, was für ein schlechter Mensch ich sei und welches absolutistische Führungsverhalten ich angeblich hätte. Wenn beides der Realität entspräche, wäre die Stadt Kassel in den letzten Jahren keineswegs so erfolgreich gewesen, auch und gerade nicht in der Krisenbewältigung. Das war alles nämlich gut geführte Teamarbeit. Gleichwohl bin ich Profi und weiß: Aushalten von öffentlichen Angriffen gehört zum Job. Ein solches Verhalten sollten die Koalitionäre auch an den Tag legen, wobei die Grünen verbal mal ein bisschen abrüsten könnten. Da weiß ich übrigens auch die SPD-Fraktion hinter mir.
Würden Sie auch die Art und Weise des Briefs an Herrn Nolda verteidigen?
Er ist nach alledem berechtigt und konsequent, aber sachlich. Persönlich habe ich Christof Nolda nie beleidigt oder öffentlich angegriffen und entgegen manchen Gerüchten gar nichts gegen ihn. Ob Sie es glauben oder nicht, wir können über manche Dinge sogar richtig gut gemeinsam lachen.
Wären Sie selbst gern Dezernent unter einem Oberbürgermeister Geselle?
Ja, dann wüsste ich nicht nur immer, woran ich bin, sondern könnte aufgrund seines kooperativen Führungsstils auch konstruktive eigene Ideen einbringen und umsetzen.