„Das ist nicht unser Putin“: Anfeindungen gegen Deutsche aus Russland

Seit dem Einmarsch von Putins Armee in die Ukraine sieht sich die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt – auch in Kassel.
Kassel – Wegen des Krieges, den die russische Armee über die Ukraine gebracht hat, nehmen in Deutschland Anfeindungen gegen russischsprechende Menschen zu. Pauschal würden sie als „Putin-Versteher“ abgestempelt, beklagt die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR). Die Anfeindungen reichten von verbalen Attacken über Ausgrenzungen bis hin zu gewaltsamen Übergriffen und machten auch keinen Halt vor russischsprechenden Kindern, die in der Schule gemobbt würden, berichtet Natalia Paschenko.
Die Kasselerin ist Geschäftsführerin und Bildungsreferentin des Landesverbandes und engagiert sich in der Kasseler Ortsgruppe der Landsmannschaft. In anderen Regionen hätten Restaurants bereits erklärt, dass Russen und Russlanddeutsche bei ihnen nicht willkommen sind. Ärzte hätten es abgelehnt, sie zu behandeln.
„Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat niemand gerechnet. Wir sind zutiefst erschüttert und distanzieren uns davon“, sagt Natalie Paschenko, die in Kirgisien geboren wurde und seit 22 Jahren in Kassel lebt. Man beziehe klar Position gegen diesen Krieg, sammele Spenden und organisiere Hilfsgüter-Transporte für die Menschen in der Ukraine. Dennoch müssten sich der Verband und auch sie persönlich ständig rechtfertigen, wie sie zu Putin stünden.
„Das ist nicht unser Putin“, stellt Natalie Paschenko klar. In Kassel engagiert sie sich auch in der CDU, im Ortsbeirat Jungfernkopf und in der Europa-Union. Vor dem Krieg habe es in der Landsmannschaft viele Putin-Anhänger gegeben. „Das hat sich aber geändert.“ Heute seien es nur noch einzelne Mitglieder. Der Versuch, sie über die tatsächlichen Verhältnisse und Ereignisse aufzuklären, sei nicht einfach, denn viele informierten sich in den russischsprachigen Medien und diese vermittelten ein ganz anderes Bild vom Krieg in der Ukraine. „Sie verkaufen ihn als Militärmanöver und als russische Befreiungsaktion.“
Die Kasseler Ortsgruppe der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland zählt 1020 Mitglieder. Der Name ist irreführend. Der Landsmannschaft gehören nicht nur Menschen aus Russland, sondern auch aus anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion an – nicht zuletzt aus der Ukraine.
Die Spaltung, die dieser Krieg verursacht, zieht sich durch Familien, Freundschaften und Vereine. Svetlana Paschenko ist Vorsitzende der Landsmannschaft in Kassel und stellvertretende Landesvorsitzende. Dass wieder Krieg in Europa herrscht, sei „ein Verbrechen“ und „schändlich“. Auf den Vorwurf, russischsprechenden Menschen seien Putin-Versteher, entgegnet die 76-Jährige: „Herrscher wie Putin, die in ihrem Land keine Freiheit zulassen, sind doch der Grund, warum wir nach Deutschland gekommen sind.“
18 Jahre hat Svetlana Paschenko in Kassel als Integrationsbeauftragte gearbeitet, sie nimmt diese Aufgabe heute noch ehrenamtlich wahr. Die gebürtige Kirgisin war an der Universität der Stadt Osch als Dozentin tätig, organisierte und begleitete seit 1995 Austausche mit der Universität Kassel. 1999 blieb sie.
In der Kasseler Stadtgesellschaft sei die Zusammenarbeit der Deutschen aus Russland mit anderen Gruppen gut, enge Kontakte gebe es etwa zur jüdischen Gemeinde. Svetlana Paschenko hofft, dass dieser Krieg daran nichts ändere. „Das darf nicht sein.“ Sie hofft auf den Frieden.
Wenig später teilt Schwiegertochter Natalie Paschenko mit: „Heute erreichen uns unzählige Nachrichten über Hetze und Mobbing der russlanddeutschen Kinder in der Schule – leider auch in Kassel.“