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Das tiefe A ist zurück

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Von: Thomas Siemon

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Hoch oben im Glockenturm: Matthias Fitzner (links) und der Auszubildende Jan Böhm haben gestern das Glockenspiel der Karlskirche repariert.
Hoch oben im Glockenturm: Matthias Fitzner (links) und der Auszubildende Jan Böhm haben gestern das Glockenspiel der Karlskirche repariert. © Dieter Schachtschneider

Die Karlskirche verfügt über eines der größten Glockenspiele bundesweit. Durch einen Defekt konnte ein wichtiger Ton nicht gespielt werden.

Kassel – Josef Heger hat es als Erster bemerkt. Dem Glockenspieler fehlte ein nicht ganz unwichtiger Ton. Der war abhandengekommen, weil der Anschlaghammer nicht mehr funktionierte. „Ohne das tiefe A kann ich die Hälfte unseres Repertoires gar nicht spielen, da wäre dann immer eine Lücke“, sagt Heger. Das Glockenspiel stammt aus dem Jahr 1957, da kann natürlich immer mal eine Reparatur nötig sein. Doch es ist beim tiefen A so wie auch bei anderen Handwerkerleistungen. „Eigentlich hätten wir vor Januar keinen Termin bekommen“, sagt Friedrich Luncke, der bei der Landeskirche für alle Glocken in der Region zuständig ist.

Dass es jetzt doch schneller ging, ist einem Zufall und der Hilfsbereitschaft von Matthias Fitzner zu verdanken. Den hat Glockenspieler Heger nämlich auf der Straße getroffen und angesprochen. Weil man sich kennt und Fitzner Ausbilder im Metallhandwerk für die Waldorf-Schule ist. Der Fachmann hat sich gleich am nächsten Tag den Schaden angesehen und den defekten Hammer zusammen mit dem Auszubildenden Jan Böhm ausgebaut. Nach der Reparatur waren die beiden gestern zurück im Turm der Karlskirche.

Hoch oben über Kassel hat die nicht nur einen Glockenturm, sondern auch eines der größten Glockenspiele Deutschlands. Das hat viel mit der Tradition der Kirche zu tun. Gebaut wurde die im Jahr 1710 von aus Frankreich geflüchteten Hugenotten. Denen hatte der Kasseler Landgraf Karl Asyl gewährt und ihnen mit der Oberneustadt auch eine neue Heimat verschafft. Damals hatte die Kirche noch kein Glockenspiel.

Das änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Kasseler Bombennacht vom 22. Oktober 1943 wurde die Karlskirche ebenso wie die gesamte Kasseler Innenstadt nahezu vollständig zerstört. Lediglich ein paar Mauerreste blieben stehen. Beim vereinfachten Wiederaufbau sei dann aus der Kirchengemeinde die Idee entstanden, ein Glockenspiel nach dem französischen Vorbild des Carillons einzubauen. „Ähnlich wie bei den Pfeifen für die Orgel der Martinskirche konnte man Glockenpatenschaften übernehmen“, sagt Kirchenvorstand Hans-Helmut Horn.

Das hat funktioniert, seitdem verfügt Kassel über eine musikalische Attraktion mit Glocken, die zwischen 40 und 400 Kilogramm wiegen. Besonders erfreulich sei, dass es wieder Nachwuchs gebe, der das Glockenspiel erlernen wolle. Kleinere Reparaturen übernehmen die Glockenspieler selbst. „Unser Werkzeug ist allerdings sehr in die Jahre gekommen“, sagt Josef Heger. Wer zum Beispiel nach einer Haushaltsauflösung etwas abgeben will, kann sich melden. Das tiefe A funktioniert seit gestern jedenfalls wieder.

Kontakt: 0176 96 67 83 99 (Thomas Siemon)

Kletterpartie: Jeder Glocke wird mit einem Anschlaghammer zum Klang gebracht.
Kletterpartie: Jeder Glocke wird mit einem Anschlaghammer zum Klang gebracht. © Schachtschneider, Dieter

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