„Das waren Gänsehautmomente“

Roland Friedrich aus Kassel erlebte 1972 die Olympischen Spiele in München.
Kassel – Vor 50 Jahren begannen die Olympischen Spiele in München. Roland Friedrich aus Kassel war damals 20 Jahre alt und die ganze Zeit im Ordnungsdienst beim Bundesgrenzschutz vor Ort. Wir haben mit ihm gesprochen, einige Erinnerungen hat er aufgeschrieben.
- Die Vorbereitung: Roland Friedrich war schon drei Wochen vor den Olympischen Spielen in München. Er gehörte zu einer zehnköpfigen Gruppe, die im Olympiapark Mitte eingesetzt wurde. Dazu gehörten die Schwimmhalle, das Olympiastadion, die Radrennbahn, die Sporthalle und die Boxhalle. Mit dem Gelände und den Gebäuden machten sie sich eingehend vertraut. Vor der Eröffnungsfeier seien sie mit hellblauen Anzügen eingekleidet worden und hätten dazu weiße Mützen getragen. „Wir sahen richtig schick aus. Es sollten ja friedliche Spiele werden, deshalb wurden wir auch nicht bewaffnet“, erinnert sich Roland Friedrich. Aus nächster Nähe habe er verfolgt, wie das olympische Feuer angezündet wurde. Ein Gänsehautmoment sei das gewesen. Bei der Generalprobe am Tag zuvor hat er ein Erinnerungsfoto gemacht.
- Der Schwimmstar: „Mark Spitz war ja der König der Athleten und gewann sieben Goldmedaillen in der Schwimmhalle, in der ich oft zum Dienst eingesetzt wurde“, sagt Roland Friedrich. Obwohl es keine Eintrittskarten mehr gab, hätten sich viele amerikanische Fans schon in der Nacht vor den Wettkämpfen an der Schwimmhalle getroffen. Die seien dann an der Fassade hochgeklettert, um als Zaungäste ihren Schwimmstar zu verfolgen. Zunächst seien die Fans noch eindringlich aufgefordert worden, wieder runterzukommen. Als das nichts half, habe die Polizeiführung Wasserwerfer eingesetzt. Roland Friedrich fand das völlig übertrieben.
- Der Geher: „Am 3. September war unsere Gruppe am Marathontor eingesetzt, um den Einlauf der Teilnehmer vom 50 km Gehen sicher zu gewährleisten. Über die Stadionansage bekamen wir natürlich mit, dass sich unser deutscher Starter Bernd Kannenberg nach und nach an die Spitze des Feldes gelaufen hatte.“ Als der Geher bei ihm vorbeikam, sei das wieder ein Gänsehautmoment gewesen. „Denn jetzt kam ja der Moment, wo er ins Olympiastadion hineinlief und ihn 80 000 Zuschauer frenetisch begrüßten. Wir durften danach noch im Stadion bleiben und bekamen so auch noch die Goldmedaillen von Hildegard Falck über 800 Meter und Klaus Wolfermann im Speerwerfen mit.“
- Das Attentat: Der 5. September hat alles verändert. Mit dem Attentat auf israelische Sportler seien die heiteren Spiele vorbei gewesen. So hat der damals 20-Jährige den Tag erlebt: „Gegen halb sechs Uhr morgens gab es Alarm und wir wurden sofort ins olympische Dorf gefahren. Wir wussten noch nicht, was passiert war. Der Polizeipsychologe gab uns eine kurze Schilderung der Lage, berichtete von der Geiselnahme und auch von Schusswechseln. Er versuchte, uns zu beruhigen, und meinte, er möchte keine Helden sehen, wir sollten uns eher defensiv und beobachtend verhalten.“ Er habe mächtig Angst gehabt, sagt Roland Friedrich im Rückblick. Der Auftrag sei gewesen, das Haus der ägyptischen Sportler zu sichern. Dafür mussten Friedrich und seine Kollegen einzeln durch die Gefahrenzone robben. Sie waren jetzt mit einer Pistole bewaffnet. „Ich habe weder nach rechts oder nach links geschaut und bin so schnell gerobbt, wie noch nie in meinem Leben“, sagt er. Erst am nächsten Morgen um 6 Uhr habe die Gruppe den Abzugsbefehl bekommen. Keiner von ihnen habe gewusst, was bis dahin alles geschehen war. Er habe zwölf Stunden durchgeschlafen und danach von der Katastrophe in Fürstenfeldbruck erfahren.
- Der Abschluss: Wegen des Attentats waren die Olympischen Spiele unterbrochen, die Abschlussfeier fand erst am Montag und nicht wie geplant am Sonntag statt. Da habe seine Gruppe den Ehrengastbereich A gesichert. Unter anderem sei dort Prinz Philip, der Ehemann der britischen Königin Elizabeth gewesen. Der habe zum Schluss der Wettkämpfe die Medaillen im Springreiten im Olympiastadion vergeben und sei dann zurück in den Ehrengastbereich gekommen. „Er gab er uns allen die Hand und bedankte sich ganz herzlich für unseren Einsatz“, sagt Roland Friedrich. Und noch eine Erinnerung ist geblieben. Als es gegen Abend langsam kühler wurde, habe ihn der thailändische König Bhumibol angesprochen. Ob er für Königin Sirikit eine Decke besorgen könne, sie fröstele etwas. Die Decke hat er natürlich bekommen. (Thomas Siemon)

