„Der Jakobsweg ist wie eine Sucht“: Janina Müller pilgert 3000 Kilometer von Kassel nach Santiago

900 Kilometer hat Janina Müller schon geschafft, 2100 liegen noch vor ihr. Die 30-jährige Kasselerin ist Ende März von Kassel aufgebrochen. Ihr Ziel: das Ende der Welt.
Kassel – Denn so wird das Kap Finisterre in Spanien genannt. Drei Etappen vor Finisterre liegt die Kathedrale von Santiago de Compostela, die wohl vielen als Ziel von Pilgern bekannt ist.
Müller war schon drei Mal auf dem Jakobsweg unterwegs, zuletzt 2021 fünf Wochen lang von Frankreich aus Richtung Santiago. Jedes Mal war sie begeistert und hatte aber auch das Gefühl, dass die Zeit viel zu kurz war, um das Pilgergefühl zu erleben. Nachdem sie zwei Pilger kennengelernt hatte, die sich von Deutschland aus auf den Weg nach Spanien gemacht hatten, kam bei Müller der Wunsch auf, das irgendwann von Kassel aus zu wagen. „Der Jakobsweg ist wie eine Sucht“, sagt sie.
Der kürzeste Weg von Kassel aus hätte über Trier und Metz geführt, aber Müller entschied sich, noch einen kleinen Umweg über die Schweiz zu machen. „Ich finde die Natur dort einfach beeindruckend und wollte gern noch mal in die Berge“, sagt Müller. Im Grunde gibt es auch ohnehin nicht den Jakobsweg, erklärt sie.

Natürlich gibt es den bekannten Ursprungsweg in Spanien, aber die Strecken sind entstanden aus den Wegen, die die Pilger früher zur Kathedrale nach Santiago gepilgert sind. Auch heute laufen viele diese Strecken aus religiösen Motiven, es gibt aber auch viele Menschen, die den Jakobsweg zur Sinnsuche oder Selbstfindung nutzen. Ähnlich ist auch die Motivation der Kasselerin.
Nach ihrem Referendariat hatte Müller zuletzt als Grundschullehrerin an der Losseschule in Bettenhausen gearbeitet. Sie weiß, dass die Pilgerauszeit ein Privileg ist, das sich nicht jeder ermöglichen kann. Zur Zeit plant sie, im Spätsommer wieder in ihren Beruf einzusteigen.
Täglich läuft Müller durchschnittlich 25 Kilometer. „Das Maximum waren bisher 35“, sagt sie. Aber dass man auf seinen Körper hören muss, das ist auch etwas, was sie auf ihrer Tour immer noch als Herausforderung sieht. Alle sieben bis zehn Tage ist ein Tag Pause geplant.
Als Janina Müller zuletzt mehrere Tage bei Dauerregen über geteerte Radwege in Süddeutschland lief, hat sie kurz gezweifelt, ob ihre Tour wirklich die richtige Entscheidung war. Aber ihr Motto ist, wenn man einen Wunsch hat, dann sollte man den nicht auf die lange Bank schieben, sondern Dinge angehen.
Lässt man sich nicht verleiten, ein paar Tage am selben Ort zu bleiben, wenn die Beine schmerzen? Eher nicht, lautet Müllers klare Antwort. Das Pilgern werde zum Alltag. Sich dann jeden Tag wieder auf den Weg zu machen, sei völlig normal. Sechs bis acht Stunden ist Janina Müller an den meisten Tagen unterwegs. Untergekommen ist sie in Deutschland oft bei Privatpersonen, die in Facebookgruppen anbieten, Pilger aufzunehmen, oder in Pilgerherbergen.
In Deutschland gibt es davon nicht so viele, je näher man Santiago kommt, werden es mehr. Die Preise pro Nacht variieren. In Deutschland zahlt man für die Übernachtung mit Verpflegung zwischen 20 und 30 Euro, in Spanien ist es günstiger. Vor einigen Tagen hat eine Frau Janina Müller auf der Straße angesprochen und zum Essen eingeladen.
Zuerst war Müller zurückhaltend und überrascht über die spontane Gastfreundschaft. Aber rückblickend war der Nachmittag „einer dieser besonderen Momente“, die man auf dem Jakobsweg erlebt. Unterwegs trifft sie oft andere Pilger. Zuletzt habe sie zwei junge Frauen kennengelernt, die von Dresden nach Santiago laufen.
Die sind jetzt wieder zwei Etappen hinter ihr. Würde man dann nicht gern zusammen weiterlaufen? „Schon“, sagt Janina Müller. Aber man läuft eben auch für sich. Manchmal bleibe man in Kontakt. Aber es sei für alle in Ordnung, wenn man allein unterwegs sein wolle. „Wenn man sich zufällig wiedertrifft, ist es umso schöner.“
Beim Pilgern interessiere keinen, wer man ist und woher man kommt, beschreibt es Müller, die in Kassel aufgewachsen ist. „Alle haben dieselben Probleme, also schmerzende Beine und Blasen an den Füßen, aber eben auch dasselbe Ziel.“
Info: Von ihrer Pilgerwanderung berichtet Janina Müller auf Instagram unter @wandermutig. Außerdem sammelt sie Spenden für den Kasseler Verein Kleine Riesen. Die Idee dazu kam, weil sie mit ihrer Pilgerwanderung etwas Positives erreichen will.