In der Not kaufen sie auch Blümchenbettwäsche: Die Anpacker aus dem Revisionsamt

Zwei Abteilungsleiter aus dem Kasseler Revisionsamt sind plötzlich Kümmerer in der Krise: Jörg Stenger und Andreas Peters sorgen mit ihrem Team dafür, dass die Unterkünfte für Geflüchtete ausgestattet werden.
Kassel – Andreas Peters und Jörg Stenger arbeiten normalerweise jeweils als Abteilungsleiter im städtischen Revisionsamt. Aber mit ihrer eigentlichen Tätigkeit am Schreibtisch sind die beiden derzeit nicht beschäftigt. Peters und Stenger sind stattdessen im Moment ständig unterwegs – wie auch jetzt.
Treffen an der Jägerkaserne, wo gerade Gebäude zu Unterkünften für Geflüchtete hergerichtet werden. Es ist schwer, einen ruhigen Platz zu finden. Hier schleppen gerade zwei Helfer ein Bettgestell das Treppenhaus nach oben, dort kommen andere mit Kartons entgegen. Und mittendrin stehen die beiden Herren vom Revisionsamt, die in Zeiten des Ukrainekrieges einen anderen Job ausüben: Peters und Stenger leiten das Anfang März aufgebaute Team Logistik in der besonderen Aufbauorganisation, die sich „Kritische Lage“ nennt.
Die beiden und ihr Team kümmern sich darum, die Unterkünfte für Geflüchtete auszustatten. Das heißt: Sie müssen innerhalb kürzester Zeit Bettgestelle in großer Stückzahl besorgen, Lattenroste, Geschirr, Töpfe, Decken – alles, was zu einer Mindestausstattung einer Wohnung zählt. Das gehört an sich nicht zu den Aufgaben eines Abteilungsleiters im Revisionsamt. „Da gehen wir normalerweise nicht auf Einkaufstour“, sagt Stenger trocken. Aber jetzt ist es Alltag.
Der 52-Jährige und sein drei Jahre jüngerer Kollege Peters wurden in den Stab berufen und haben dann die neue Funktion übernommen, als sich abzeichnete, dass auch nach Kassel viele Geflüchtete kommen. Jetzt erwecken beide den Eindruck, als machten sie das schon ewig – mit vollem Elan und viel Herzblut. „Wir haben gar keine Zeit, unsere eigentliche Arbeit zu vermissen“, sagt Peters. Ständig geht das Handy, das er als aktuell liebstes Arbeitsgerät bezeichnet. Ständig ist etwas zu klären, ständig wird etwas benötigt. Das Team Logistik lebt auch von der Flexibilität und Improvisation.
Denn die Beschaffung der nötigsten Dinge ist in diesen Tagen und Wochen, in denen nicht nur in Kassel Unterkünfte entstehen, auch ein Kampf. Mitunter fahren Peters und Stenger mit einem Transporter auch selbst zum Möbelhaus und beladen das Fahrzeug bis oben hin. In der Lagebesprechung im Rathaus, in der die Arbeit rund um die Ankunft der Geflüchteten koordiniert wird, berichtete Stenger schon mal vom komplizierten Kauf diverser Blümchenbettwäsche, was trotz der Ernsthaftigkeit des Themas zumindest für ein bisschen Schmunzeln sorgte.
Stenger und Peters nehmen jede Herausforderung an – auch bei der Suche nach Rolllattenrosten, die nirgendwo mehr verfügbar schienen. Die beiden überlegten, recherchierten und landeten kurz vor der Verzweiflung bei einem Zulieferer der Möbelindustrie weit außerhalb Kassels. Nach einem Gespräch mit dem Geschäftsführer kamen sie schließlich an eine große Menge von Rolllattenrosten.
Wenn die beiden Cheflogistiker auf Zeit erzählen, hat es den Anschein, ihre derzeitige Tätigkeit sei eine Mischung aus Abenteuer und Tatendrang für die gute Sache. Einmal mussten sie von jetzt auf gleich noch Getränke in großen Mengen für eine Unterkunft besorgen. Sie sind dann auch wieder mit einem Transporter los. Auf der Fahrt haben sie mit dem Chef des Getränkemarktes die Bezahlmodalitäten abgeklärt. Als sie dann vor dem Verkäufer standen und ihm erzählten, dass sich sein Chef gleich melden würde, wollte er ihnen nicht glauben. 30 Sekunden später klingelte das Telefon – und der Chef erklärte dem Verkäufer, dass dieser Großauftrag abgestimmt sei und seine Richtigkeit habe.
Peters und Stenger hatten wieder mal eine Lösung gefunden. Ihr Motto lautet: „Kein Weg ist umsonst.“ Und wer jetzt denkt, da ziehen einfach mal zwei los mit der Legitimation zum Großeinkauf, dem sei gesagt: „Es ist möglichst alles auf Effizienz ausgelegt“, so Stenger.
Neun Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen der Verwaltung zählen zu dem Team, das sich Peters und Stenger zusammengestellt haben. „Es hilft sehr, dass wir gut vernetzt sind“, sagt Peters, der schnell wusste, wer dafür infrage kommt, wenn es darum geht, Betten aufzubauen und Wohnungen einzurichten. Die Zusammenarbeit bezeichnen sie als toll. „Es ziehen alle mit“, sagt Peters, der seinen aktuellen Job als große Herausforderung sieht, die er und seine Kollegen gern annehmen: „Sie hat ja den Zweck, Menschen, die vor dem Krieg geflüchtet sind, zu helfen.“
Das wollen er und sein Team machen, solange es notwendig ist. Und danach geht es zurück ins Revisionsamt. (Florian Hagemann)