Krach in Kasseler Koalition: Keine Einheit im Stadtparlament

Der Fortbestand der grün-roten Koalition in Kassel ist weiter fraglich. Auch im Stadtparlament waren die Spannungen offensichtlich. Oberbürgermeister Geselle versuchte es mit Humor.
Kassel – Zwei Wochen nachdem Christian Geselle (SPD) die Grünen gegen sich aufgebracht hat, versucht er es mit Selbstironie. Bei der Einbringung des Nachtragshaushalts in die Stadtverordnetenversammlung würdigt Kassels Oberbürgermeister am Montagabend die Pragmatik von Wirtschaftsminister Robert Habeck. In der Stadthalle sagt Geselle in Richtung der Grünen: „Wenn ich mal einen Grünen lobe, können Sie ruhig mal applaudieren.“ Aber selbst nach dieser Pointe klatscht niemand bei der einstigen Ökopartei.
Die größte Fraktion im Stadtparlament ist immer noch aufgebracht über die Entscheidung Geselles, einen von ihrem Verkehrsdezernenten Christof Nolda geplanten Verkehrsversuch auf dem Steinweg zurückzunehmen und ihren Mann von wichtigen Aufgaben zu entbinden. Die Grünen haben der SPD konkrete Forderungen gestellt. Ansonsten könnte die Koalition platzen.
Wie ernst es um das Bündnis steht, wird schon vor dem Einstieg in die Tagesordnung deutlich. Luisa Sümmermann von den Linken stellt vorab einen Dringlichkeitsantrag, der mit auf die Tagesordnung genommen werden soll. Demnach soll in der Sitzung über den Verkehrsversuch auf dem Steinweg, weitere Experimente und die Auseinandersetzung unter den Dezernenten geredet werden.
Um einen Punkt auf die Tagesordnung zu heben, ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Doch SPD-Fraktionschef Wolfgang Decker lehnt das Ansinnen der Linken ab: „Das ist und bleibt eine Angelegenheit der Straßenverkehrsbehörde, also des Oberbürgermeisters.“ Überraschend votieren die Grünen trotzdem für den Linken-Antrag. Für die nötige Mehrheit und eine Änderung der Tagesordnung reicht das zwar nicht, aber die ungewöhnliche Abstimmung der Grünen ist so etwas wie eine Art Misstrauensvotum gegenüber dem Koalitionspartner.
So ähnlich wie zu Beginn geht es den gesamten Abend weiter. Einmal beordert Geselle die SPD-Fraktionschefs Ramona Kopec und Wolfgang Decker nach draußen. Auch die Grünen-Spitze um Christine Hesse und Steffen Müller diskutiert zwischenzeitlich vor dem Kolonnadensaal, wo die Sitzung stattfindet. Als neutraler Beobachter kann man da nicht ausschließen, dass der Koalitionskrach am Abend noch eskaliert. Doch es passiert nichts mehr in dieser Hinsicht. Einmal nennt Christian Geselle seinen Dezernenten Nolda sogar Christof – als seien sie beste Freunde und nicht Kontrahenten im Magistrat.
Wenig feierlich gestaltet sich die Amtseinführung und Verpflichtung von Nicole Maisch als neue Dezernentin für Jugend, Bildung, Gesundheit und Chancengleichheit sowie von der für sie als ehrenamtliche Stadträtin nachrückenden Joana Al Samarraie. Geselle verliest die Ernennungsurkunden. Applaus gibt es für die neuen grünen Amtsträgerinnen zwar auch von einigen Sozialdemokraten, aber nicht von allen. Wie eine Einheit wirkt die Koalition an diesem Abend also nicht – auch wenn sie mehrere Anträge gemeinsam verabschieden.
Im großen Saal der Stadthalle, wo die Stadtverordneten sonst tagen, wird am Montag übrigens eine Messe für Elektrotechnik aufgebaut. Heute geht es dort unter anderem um „fünf Sicherheitsregeln im Niederspannungsbereich“. Die Spannung in der Koalition könnte sich in den nächsten Tagen entladen. (Andreas Hermann und Matthias Lohr)