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Holocaust-Gedenktag: Die traurige Geschichte der Puppe Inge aus Kassel

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Von: Christina Hein

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Puppe begleitete Kasseler jüdisches Kind auf der Flucht aus Nazi-Deutschland.
Puppe mit Geschichte © Youtube-Video/Freundeskreises Yad Vashem e.V.

Die Berliner Holocaust-Ausstellung zeigt auch ein Exponat aus Kassel, eine Puppe, die das jüdische Kind Lore Stern aus Kassel 1941 auf der Flucht aus Nazi-Deutschland begleitete.

Berlin/Kassel – Die stupsnasige Puppe mit der aufgemalten Haarsträhne, die zurzeit in einer Ausstellung im Deutschen Bundestag zu sehen ist, hat eine lange Reise hinter sich. Vor Kurzem ist sie aus Israel nach Berlin eingeflogen worden. Die längste Zeit davor war sie in New York. Jetzt sitzt die blonde Puppe in einer beleuchteten Glasvitrine und verweist den Betrachter auf ihre bewegte und bewegende Geschichte. Und die führt nach Kassel, wo alles seinen Anfang nahm.

Hier lebte 1941 das kleine jüdische Mädchen Lore Stern. Als Lore (Jahrgang 1937) mit ihrer Mutter Käthchen Kahnlein-Stern vor den Nazis fliehen musste und Kassel verließ, um über Frankreich und Portugal nach Amerika zu gelangen, schenkten ihr die Großeltern zum Abschied eine Puppe. Lore gab ihr den Namen Inge.

Zusammen mit 15 weiteren Exponaten – aus jedem Bundesland exemplarisch eines – ist Puppe Inge Teil der Berliner Ausstellung „Sechzehn Objekte – siebzig Jahre Yad Vashem“. Sie wurde von Ruth Ur vom Freundeskreis Yad Vashem anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus kuratiert. „Jeder der 16 ausgestellten Gegenstände ist völlig eigen“, heißt es in der Ausstellung.

Alle Objekte eine, dass sie einer Familie oder einer Person gehörten, die einst in Deutschland lebte und selbstverständlicher Teil der Gesellschaft war. „Sie wären unscheinbare Alltagsgegenstände geblieben, wenn sie nicht für unzählige Leben und Gemeinschaften stünden, die zerstört wurden.“ Alle Objekte befinden sich heute in der Sammlung von Yad Vashem. Die internationale Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, die in diesem Jahr ihr 70-jähriges Bestehen begeht, hat das Ziel, diese Geschichten zu bewahren.

Für die Ausstellung ist das Kasseler Mädchen, die heute 85-jährige Lore Mayerfeld, nach Berlin gekommen, um Inges und ihre Geschichte zu erzählen. Der Puppe hat sie den Pyjama angezogen, den sie selber als Kleinkind in der Pogromnacht 1938 getragen hatte. Damals wohnte die Familie – Vater Markus Stern war ein Kaufmann – in der Großen Rosenstraße unweit des heutigen Lutherplatzes.

Lores Familie musste 1938 die Pogromnacht mit ihren gewalttätigen Ausschreitungen gegen Synagogen und jüdische Geschäfte erleben. Lores Vater kam danach, wie viele jüdische Männer aus Nordhessen, in das KZ Buchenwald. Nach seiner Entlassung erwirkte er ein Visum für die USA. Bis er Frau und Tochter nachholen konnte, mussten sich die noch zwei Jahre lang verstecken.

Außer Lore und ihre Eltern kam die gesamte Familie Kahnlein-Stern – auch die liebevollen Großeltern, die ihr die Puppe geschenkt hatten – im Holocaust um. Als Lore Mayerfeld schließlich selber Großmutter war, zog sie 1991 von New York zu ihren Kindern und Enkelkindern nach Jerusalem.

Einer, der Lore Mayerfeld jetzt in Berlin traf, ist Oberbürgermeister Christian Geselle. „Es war ein tiefberührender Moment für mich, mit Lore Mayerfeld zu sprechen“, sagt er. Er empfinde große Demut vor der Tatsache, dass die alte Dame in das Land der Mörder ihrer Familie zurückgekehrt sei. Geselle erzählt: „Als ich Lore Mayerfeld auf Englisch ansprach, antwortete sie freundlich und mit nordhessischem Einschlag: Du kannst auch Deutsch mit mir reden.“ Ein Wiedersehen in Israel habe er mit ihr schon ausgemacht. Als Nächstes will sich der OB bemühen, die Wanderausstellung mit Puppe Inge nach Kassel zu holen.

Info: bundestag.de/parlamentarische_ausstellung. Besucher müssen sich anmelden: ausstellungen@bundestag.de

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