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„Die wichtigste Zeit meines Lebens“: So war es als Zivi und bei der Bundeswehr

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Von: Matthias Lohr

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Bewegender Moment: Als Zivildienstleistender brachte Timo Hausotter ein frisch entbundenes Baby, das eine Mutter vor einer Tagesklinik abgegeben hatte, ins Klinikum. 16 Jahre später traf Hausotter den Jungen wieder.
Bewegender Moment: Als Zivildienstleistender brachte Timo Hausotter ein frisch entbundenes Baby, das eine Mutter vor einer Tagesklinik abgegeben hatte, ins Klinikum. 16 Jahre später traf Hausotter den Jungen wieder. © Privat / nh

Sollte es wieder eine Dienstpflicht geben für junge Menschen? Ehemalige Zivil- und Wehrdienstleistende erzählen hier, wie sehr sie diese Zeit geprägt hat.

Kassel – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine Debatte über die Einführung eines sozialen Pflichtdienstes angestoßen. Demnach soll jeder eine gewisse Zeit bei der Betreuung von Senioren, in Behinderteneinrichtungen oder bei der Bundeswehr arbeiten. Wir lassen drei Männer zu Wort kommen, die das früher schon gemacht haben, als es noch den verpflichtenden Zivil- und Wehrdienst gab.

Timo Hausotter (46) arbeitet als Notfallsanitäter beim Deutschen Roten Kreuz. Der Vater zweier Kinder wohnt am Jungfernkopf: „Von der Bundeswehr war ich so fasziniert, dass ich in der achten Klasse sogar ein dreiwöchiges Praktikum in der Lüttichkaserne auf der Marbachshöhe gemacht habe. Damals gab es nur wenige Aufgaben für die Soldaten. Die haben neue Panzer auseinander- und wieder zusammengebaut – einfach, um etwas zu machen. Das hat mich abgeschreckt.

Also habe ich 1996 als Rettungssanitäter beim DRK im Königstor angefangen. Vorher hatte ich eine Ausbildung im Handwerk absolviert. Da ging es für mich nur darum, eine Ausbildung zu machen. Beim DRK dagegen hatte ich vom ersten Tag an Spaß.

Nach den 13 Monaten als Zivi bin ich beim DRK geblieben und bin es heute noch. Der Zivildienst war die wichtigste Zeit meines Lebens. Einmal habe ich ein frisch entbundenes Baby auf der Wilhelmshöher Allee gefunden. Es war von der Mutter vor der gynäkologischen Tagesklinik abgelegt worden. Erst danach wurde im Marienkrankenhaus eine Babyklappe installiert.

Wir haben das Baby in den Kreißsaal des Klinikums gebracht. Und es bekam sogar den Namen Timo. Nach einem Jahr wurde es von einer Familie adoptiert. 16 Jahre später klebte ein Bild von Timo und seiner Familie an meinem Spind. Er heißt jetzt Alexander. Wir haben uns getroffen. Das alles werde ich nie vergessen. Unseren Job gibt man nie ab. Einmal ist bei einem Volkslauf ein Teilnehmer vor mir zusammengebrochen. Er hatte einen Herzstillstand. Ich konnte ihm das Leben retten.

Man hätte den Zivildienst nie abschaffen dürfen. Er wäre auch heute noch eine super Orientierungsphase – für Männer und Frauen gleichermaßen. Bei mir hat er mein komplettes Leben bestimmt.“

Stefan Ruick (51), arbeitet als Qualitätstechniker bei Daimler Trucks und lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Wehlheiden: „Meine Wehrdienstzeit war für mich mehr als prägend in puncto Kameradschaft und Pflichtbewusstsein. Ich habe gelernt, wie man mit Menschen umgeht und wie man nicht mit ihnen umgehen sollte. Diese Zeit werde ich keinesfalls missen – nicht nur wegen der tollen Staffel-Partys.

Meinen Wehrdienst habe ich von 1994 bis 1996 im Fliegerhorst Wunstorf bei Hannover abgeleistet. Ich war Militärkraftfahrer in der Luftwaffensicherungsstaffel des LTG62. Abgegangen bin ich damals als Obergefreiter. Bis heute bin ich aktiver Reservist und werde immer wieder zu Wehrübungen einberufen. Im vorigen Jahr war ich bei der Bewältigung der Corona-Krise im Einsatz. Heute bin ich Hauptfeldwebel der Reserve.

Es sollte unbedingt wieder eine Dienstpflicht geben – ob an der Waffe oder im zivilen Bereich. Jeder junge Mensch – ob Mann oder Frau – kann dem Land etwas zurückgeben. Heute pochen viele nur noch auf ihre Rechte. Doch sie haben auch Pflichten gegenüber dem Staat.“

Christof Lutz (42) ist Leiter des Bereichs Musik und Kultur im Kulturzentrum Schlachthof. Der Vater zweier Töchter lebt im Vorderen Westen: „Mit Waffen und Gewalt wollte ich nichts zu tun haben. Darum habe ich verweigert und im Jahr 2000 zwölf Monate Zivildienst beim Marburger Verein „AG Freizeit“ absolviert. Zweimal in der Woche haben wir für Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung ein Café als Treffpunkt eingerichtet. Und wir haben Reisen mit ihnen organisiert – etwa nach Schweden oder Tschechien.

Es ist etwas Tolles, eine Arbeit zu machen, in der es nicht darum geht, Geld zu verdienen, sondern mit der man anderen hilft. Es kann sogar eine gute Erfahrung sein, unangenehme Dinge zu tun – etwa komplett verdreckte Klos sauber zu machen.

Eigentlich sollte das jeder mal machen. Trotzdem bin ich eigentlich gegen eine Dienstpflicht. Ich würde mich viel mehr über gute Lösungen freuen, mit der es unsere Gesellschaft hinbekommt, diese Arbeit für junge Menschen attraktiver zu machen, damit sie freiwillig einen Beitrag leisten. Wenn man das nicht schafft, werden sich viele aus Bequemlichkeit drücken.“ (Aufgezeichnet von Matthias Lohr)

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