Bauwerk aus Altkleider-Ballen wächst auf der Karlswiese

Zwischen Karlsaue und Friedrichsplatz wird an documenta-Kunstobjekten gearbeitet. Dort können alle Passanten verfolgen, wie die Vorbereitungen auf die Weltkunstschau vorangehen.
Kassel – Ein Bauklotz-Spiel mit bunten Ballen aus alten Textilien ist am Rand der Karlswiese vor der Orangerie zu verfolgen und macht viele Spaziergänger neugierig. Dass hier documenta-Kunst entsteht, ist vielen gleich klar. Wer die Arbeiter fragt, die hinter den Absperrzäunen werkeln, erfährt: Aus den Stoffwürfeln wird in Iglu-Manier ein begehbarer Ausstellungsbau emporwachsen, gut vier Meter hoch und mit der Grundfläche einer Zweizimmerwohnung.
„Oben kommt dann ein Blechdach drauf“, erläutert ein Mitarbeiter der Firma Westermann Gerüstbau. Er und seine Kollegen positionieren die Ballen mit einem leichten Lkw-Kran und schneiden Baustahlmatten zurecht, die zwischen die Stoffklotz-Lagen kommen, sie am Verrutschen hindern und die Kräfte verteilen sollen. „Das hat ein Statiker der documenta alles berechnet“, sagt Firmenchef Jörg Westermann.
Nach seinen Angaben werden die Bauklötze aus gebündeten Alt-Textilien von der Kasseler Rohstoffverwertungsfirma Trillhof geliefert. Dass hier gesammelte Altkleider sowie Müll und Elektroschrott häufig in Ländern des globalen Südens landen und dort der Wirtschaft wie auch der Umwelt schaden, ist das Thema vom Kunstkollektiv „The Nest“ aus Kenia, das auch den Innenraum seines Stoffbaus auf der Karlswiese künstlerisch bespielen wird.
Auch rund um die documenta-Halle kann man Projekte der Weltkunstschau wachsen sehen. Vor dem Eingang entsteht ein Tunnel aus Stahlgerüsten, durch den die Besucher offenbar spektakulär ins Haus geleitet werden sollen. Werden die Gerüste wohl mit den vielen Weidenzweigen beflochten, die schon länger vor der mit abgenutztem Wellblech verkleideten Hallenfront gelagert werden? Oder erwartet die Besucher eine andere Attraktion? Man darf gespannt sein.

Hinter Absperr-Flatterband gewerkelt wird auch seitlich der documenta-Halle, und zwar auf dem Wiesenstück unterhalb des Haus-Rucker-Rahmenbaus. Leicht erhöht über dem Rasen scheinen einige vieleckige Strukturen aus Bambusstangen zu schweben, die mit Stahlrohr-Endstücken verbunden und im Boden verankert sind. Es handelt sich wohl um Abgrenzungen für Kräuter- und Gemüsebeete; auch Pavillons sollen dem Vernehmen nach auf der Wiese aufgestellt werden.
„Wir werden das ganze Gelände in einen Küchengarten verwandeln“, gibt Mahbubur Rahman vom Britto Arts Trust aus Bangladesch am Wiesenrand Auskunft. Das Künstlerkollektiv wolle dann „örtliche Gemeinschaften einladen“, auf dem Gelände gemeinsam Nahrungsmittel zu verarbeiten und zuzubereiten.

Offenbar sind auch gesellige Koch- und Essensevents geplant, doch das Britto-Kollektiv will mit seinem documenta-Beitrag ernste ernährungspolitische Hintergründe beleuchten. Es geht etwa um Umweltveränderungen, sowie das Verschwinden ortstypischer Lebensmittel und Anbauweisen, auch durch zunehmende Industrialisierung.
Weiter oben auf dem Friedrichsplatz, der Herzkammer der documenta, sieht es derzeit aus wie in mancher dürregeplagten Gegend auf der Südhalbkugel: Die Rasenflächen sind vertrocknet und stellenweise völlig kahl. HNA-Leser Uwe Schmidt hat darauf aufmerksam gemacht, weil er nicht findet, das dieser Zustand „einer Weltkunstausstellung angemessen“ ist. Bei einer documenta, die so stark auf Ökothemen setzt, könnte man das auch anders bewerten. (Axel Schwarz)