„Antiquitäten Prior“ in Kassel gibt es seit 100 Jahren

Wer schon mal an der Friedrich-Ebert-Straße einen Schaufensterbummel gemacht hat, dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit etwas länger bei Antiquitäten Prior reingeschaut haben.
Kassel – Wunderschön aufgearbeitete Sessel aus dem Biedermeier stehen da neben einer Jugendstillampe und Porzellan aus der Königlich Preußischen Manufaktur. Der Laden von Edith und Walter Prior mit der Hausnummer 85 ist eine Institution weit über den Vorderen Westen hinaus. Mit seiner Schreinerei an der Hentzestraße hat Walter Priors Großvater den Grundstein für das Geschäft vor 100 Jahren gelegt.
Genau dort in Wehlheiden befindet sich auch heute noch die Werkstatt. Wenn Kunden alte Möbel aufarbeiten lassen wollen, dann kümmert sich der 69-jährige Restaurator und Kunsttischler darum. Und wenn er Zeit hat, auch um Möbel, Spiegel, Lampen und Bilderrahmen für den Verkauf im Geschäft an der Friedrich-Ebert-Straße.
Dort sind die Priors bereits seit 47 Jahren. „Wir haben ganz klein angefangen, nur wenige Meter von unseren heutigen Räumen entfernt“, sagt Edith Prior, die aus Bad Godesberg stammt und an der Kasseler Kunsthochschule zusammen mit ihrem späteren Mann studiert hat. Damals hätten sie nicht gewusst, ob ein Antiquitätengeschäft Zukunft haben würde. „Wir wollten nicht auf einem Berg voll Schulden sitzen bleiben, wenn es nicht läuft“, sagt sie.

Aus heutiger Sicht war die Sorge unbegründet. Beim Start zahlte es sich schon aus, dass sich die Kunsttischlerfamilie mit hugenottischen Wurzeln bereits einen Namen gemacht hatte. Für den damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel restaurierten die Priors einen Schreibtisch aus dem Bestand der heutigen Museumslandschaft Hessen Kassel. Die Expertise war auch anderswo gefragt. Es sprach sich herum, dass in der Werkstatt an der Hentzestraße gute Arbeit geleistet wurde.
Und wo kommen die schönen Stücke her, die heute zum Verkauf im Ladengeschäft stehen? Braucht man da ein Netzwerk, bundesweite Kontakte? „Wir suchen nicht, wir werden gefunden“, sagt Edith Prior. Es gebe langjährige Kunden, die die Priors im Testament ausdrücklich nennen. Wenn die Nachfahren kein Interesse an ihren Möbeln hätten, sollen sie an den Antiquitätenhändler gehen. Täglich gebe es telefonische Angebote. Längst nicht jedes wird berücksichtigt.
Aber will sich denn heute wirklich noch jemand das Wohnzimmer mit Antiquitäten vollstellen? „Nein, das mag ich auch nicht“, sagt Edith Prior. Aber eine moderne Einrichtung lasse sich sehr gut mit einer aufgearbeiteten Truhe, einem Sekretär oder einem antiquarischen Aufsatzschrank kombinieren.

Das sieht die Kundschaft wohl ebenso, denn das Geschäft läuft nach wie vor. Die Großbaustelle vor der Haustür hat daran nichts geändert. So lange sie sich fit fühlen, wollen die Priors weitermachen. Der Kontakt zu den Kunden und die Freude an besonderen Stücken sind die Motivation. Und manchmal auch die Geschichten zu den Antiquitäten.
Da gibt es zum Beispiel ein Porzellanservice, das ungefähr so alt ist wie das Geschäft der Priors. Die Mutter eines Priesters habe das dem Sohn geschenkt, weiß die Chefin zu berichten. Immer nur Einzelstücke. Eine Tasse mit Untersetzer, einen Teller und so weiter. Sehr schöne Stücke verbunden mit der klaren Botschaft: Lade dir nur keinen Besuch ein, schon gar keinen weiblichen. Thomas Siemon