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Kasselerinnen veröffentlichen Buch über ungewollte Schwangerschaft

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Von: Christina Hein

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Carola Rink (links) und Elena Seidl sind als junge Frauen ungeplant schwanger geworden und reagierten darauf unterschiedlich.
Teilen im Buch ihre Erfahrungen: Carola Rink (links) und Elena Seidl sind als junge Frauen ungeplant schwanger geworden und reagierten darauf unterschiedlich. © Christina Hein

Zwei Frauen schildern in einem Buch ihren unterschiedlichen Umgang mit einer ungewollten Schwangerschaft.

Kassel/Kaufungen – Carola Rink wählt deutliche Worte. Ohne Vorgeplänkel wird man in ihr Buch direkt hineingezogen. Und dann lässt einen der Text nicht mehr los. Sie schreibt: „Es ist ganz früh morgens. Ich muss auf diesen blöden Streifen pinkeln, bevor jemand anderes aufsteht. Morgenurin soll es sein. Und dann muss ich eine Stunde warten, bis sich das Ergebnis zeigt.“

Carola Rink beschreibt eindringlich und nah, wie sie mit 19 Jahren ungewollt schwanger wird. Ihr Freund, eine Fernbeziehung, ist ein Jahr jünger und geht noch zur Schule.

Die Panik, die sich in der jungen Frau ausbreitet, wird beim Lesen körperlich spürbar: „Ich zwinge mich, nicht auf den Streifen zu starren, bis sich ein roter Strich zeigt, oder andauernd nachzugucken. Nach einer halben Stunde ist ein zartrosa Strich da. Vielleicht verschwindet er einfach wieder.“

Nein, das tut er nicht. Und so nehmen die Ereignisse ihren hastigen Lauf. Die junge Frau weiß bereits „alles, was zu tun ist“. Kennt die Nummer von Pro Familia auswendig. In einem Stakkato an Worten und Gedanken lässt Carola Rink die Atmosphäre von Verzweiflung, in der sie sich damals befand, wieder aufleben: „Ich rufe da an, und die retten mich, dann geht es weiter, es passiert was (...) und ich kann weiterleben. So wie ich will, selbstbestimmt, ohne Kind. (...) Warum machen die erst um 10 Uhr auf? Ich brauche die jetzt. Ich will jetzt sofort eine Abtreibung! Jetzt.“

Nach der vollzogenen Abtreibung wird ihr in der Arztpraxis in einer Glasschale ein rotes Klümpchen gezeigt mit der Erläuterung: „Dies wäre das Baby geworden.“

Über 30 Jahre später, mit 53 Jahren, als verheiratete Mutter von drei erwachsenen Kindern, verspürt Carola Rink das Bedürfnis, über ihre Abtreibung zu schreiben. Mit dem Abstand der Zeit. Über das, was danach in ihrem Leben kam, auch über ihre Schuldgefühle, die immer stärker wurden und die Phasen von Unruhe und Traurigkeit. Aus all dem hat sie in ihrem Umfeld nie ein Geheimnis gemacht, aber sie hatte es auch noch nie in seiner ganzen Bedeutung betrachtet. Vor allem stellte sich Carola Rink die Frage: Was wäre damals die Alternative gewesen?

Dabei kam der Kasseler Musiklehrerin der Gedanke, eine junge Frau aus ihrem Bekanntenkreis – eine Orchesterfreundin ihrer Kinder – danach zu befragen. Die heute 26-jährige Elena Seidl aus Kaufungen war mit 16 Jahren „ungeplant“ schwanger geworden, hatte sich aber sofort dafür entschieden – mit Unterstützung des Kindsvaters und ihren Familien – das Kind zur Welt zu bringen. Ein Jahr lang unterbrach sie ihre Schulzeit, um ihre kleine Tochter zu versorgen. Heute studiert sie Mathematik und Chemie, ist angehende Lehrerin und hat mit ihrem inzwischen angetrauten Mann ein zweites Kind.

„Es drängte mich sehr, meinen eigenen Bericht durch einen positiven Bericht zu ergänzen, in dem das ‘Ungeborene’ ein ‘Geborenes’ wird“, schreibt Carola Rink.

Der Part, in dem Elena Seidl zu Wort kommt, hat die Form eines Interviews und setzt sich so von der vorangegangenen autobiografischen Aufzeichnung Rinks auch formal ab.

Elena Seidl als 17-jährige Mutter mit ihrem Baby.
Für das Kind entschieden: Elena Seidl als 17-jährige Mutter mit ihrem Baby. © privat/nh

Wie Rink besticht Seidl durch Ehrlichkeit bei der Beantwortung sehr privater Fragen. Auch sie beschreibt die Angst, als sie zum Schwangerschaftsteststreifen griff. „Meine Hände zitterten.“ Als das Ergebnis „schwanger“ feststand, habe sie ihr Freund „völlig verzweifelt“ gefragt: „Was willst du jetzt machen?“ Ihre Antwort: „Ich kann nicht abtreiben.“ Die Vorstellung, ihr Kind, „das durch mich und meinen Freund, den ich mir gut als Lebenspartner vorstellen konnte, entstanden ist, das Leben nicht zu ermöglichen, fand ich schrecklich“.

Einen größeren Raum im Buch mit dem Titel „Eine Entscheidung für das Leben“ nimmt Carola Rinks Hinwendung zum Glauben ein. Ihre bedrückenden Schuldgefühle werden ihr von einer im Glauben tief verwurzelten Freundin genommen, die ihr in einem langen Brief schreibt: „Gott liebt dich trotzdem. Er vergibt Dir. Er erlöst dich.“

Angenehm sachlich formulieren Carola Rink und Elena Seidl ihre „Nachgedanken“: „Wir hoffen, dass junge Leserinnen und Leser erkennen, wie existenziell wichtig ein verantwortungsvoller Umgang mit körperlicher Nähe, Sexualität und Verhütung ist. (...) Und wenn sich nur eine Leserin im Buch wiedererkennt und dadurch den Mut findet, über ihre Erfahrungen zu sprechen, haben diese Zeilen einen Sinn.“

Service: Carola Rink, Elena Seidl: Eine Entscheidung für das Leben. Zu jung schwanger – Abtreibung oder Leben mit Kind? Zwei Erfahrungsberichte, Manuela Kinzel Verlag, 136 Seiten, 13,50 Euro.

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