Einwohnerzahlen in Kassel als Spiegel der Geschichte

Die Veränderungen der Einwohnerzahlen in Kassel lassen sich durch Krieg, Wiederaufbau, Grenzöffnung und Migration erklären.
Kassel – Woran liegt es eigentlich, dass die Einwohnerzahlen von Kassel immer wieder Schwankungen unterworfen sind? Aktuell leben mehr als 207.000 Menschen in der Stadt. So viele waren es schon länger nicht mehr. Auch dafür gibt es Gründe. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich viel getan.
Die Stadt in Trümmern: Spätestens seit der Bombennacht vom 22. Oktober 1943 waren weite Teile Kassels zerstört. In der Ruinenstadt lebten bei Kriegsende am 8. Mai 1945 nur noch gut 70.000 Menschen. Viele Frauen, Ältere und Kinder waren ins Umland evakuiert worden, andere lebten in behelfsmäßigen Quartieren in einer vom Krieg gezeichneten Stadt.
Im Jahr 1899 hatte Kassel erstmals mehr als 100.000 Einwohner. Die zunehmende Industrialisierung spielte dabei eine wichtige Rolle. Größter Arbeitgeber der Stadt war die Firma Henschel. Vor der Bombennacht hatte Kassel 225.000 Einwohner. Dieser Wert wurde bis heute nicht mehr erreicht.

Der Wiederaufbau: Bis Mitte der 1960er-Jahre ist die Einwohnerzahl Kassels wieder kontinuierlich gestiegen. Mit dem Auefeld, der Brückenhofsiedlung, der Wohnstadt Waldau und anderen großen Wohnprojekten wurden dafür die Voraussetzungen geschaffen. Gleichzeitig stiegen die Geburtenzahlen. Die Generation der sogenannten Baby-Boomer, die heute das Rentenalter erreicht, wurde geboren und wuchs oft in Nachkriegsneubauten auf.
Der Zonenrand: Mitte der 1980er-Jahre gab es eine Delle bei den Einwohnerzahlen. Kassel war Zonenrandgebiet, und das machte sich auch wirtschaftlich bemerkbar. Insbesondere jüngere Menschen suchten sich in anderen Teilen Deutschlands eine Arbeit. Zudem gab es einen Trend zum Eigenheim im Umland Kassels, wo vergleichsweise günstige Grundstücke angeboten wurden. Jedenfalls sank die Einwohnerzahl auf 184.000.
Die Grenzöffnung: Als am 9. November 1989 die innerdeutsche Grenze fiel, bedeutete das in Kassel mehrere Wochen Ausnahmezustand. Die Freude war überbordend, nie zuvor und nie danach war die Königsstraße so voll wie damals. Die erhofften positiven Auswirkungen der Grenzöffnung brauchten dann allerdings doch etwas länger. Mittlerweile ist Kassel wirklich in der Mitte Europas angekommen.

Die positive Entwicklung der Wirtschaft, der Aufschwung der Universität und auch weiche Faktoren wie die documenta und die Anerkennung des Bergparks als Welterbe haben für eine positive Entwicklung auch bei den Einwohnerzahlen gesorgt. Der Wohnungsbau hinkt allerdings weiter hinter dieser Entwicklung her. Sowohl die Mieten als auch die Preise für Wohneigentum sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
Die Flüchtlinge: Mit dem Krieg in Syrien gab es bereits größere Flüchtlingsbewegungen ab dem Jahr 2015. Der Krieg in der Ukraine hat zuletzt dafür gesorgt, dass mehr Menschen Schutz in Deutschland gesucht haben. Im vergangenen Jahr sind knapp 3700 Menschen aus der Ukraine nach Kassel gekommen. Doch auch ohne sie wäre die Einwohnerzahl Kassels weiter gestiegen. Ende 2022 waren 207 622 Bewohner in der Stadt registriert. Etwa so viele wie vor 50 Jahren, aber immer noch deutlich weniger als vor der Zerstörung 1943.