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Antisemitismus-Debatte: Das hat das documenta-Symposium gebracht

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Von: Matthias Lohr

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Entschuldigten sich für verletzte Gefühle: Hestu A. Nugroho (von links, Taring Padi) und Reza Afisina (Ruangrupa) mit Moderatorin Kate Brown.
Entschuldigten sich für verletzte Gefühle: Hestu A. Nugroho (von links, Taring Padi) und Reza Afisina (Ruangrupa) mit Moderatorin Kate Brown. © Tim Albrecht/HFBK

Die Gastprofessur zweier Ruangrupa-Mitglieder sorgte in Hamburg für viel Empörung. Nun wurde an der Hochschule über die documenta und Antisemitismus diskutiert. Es war der lang ersehnte Dialog.

Hamburg – Für den Historiker Michael Wildt kam das Symposium zur documenta, das an den vergangenen beiden Tagen an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK) stattfand, ein Jahr zu spät. Der Professor der Berliner Humboldt-Universität hätte sich gewünscht, dass so eine Diskussion schon vor einem Jahr in Kassel stattgefunden hätte. Doch ein richtiger Dialog über den Antisemitismus-Eklat bei der Kunstschau hat bislang nicht stattgefunden. Darum waren sich am Ende viele der mehr als 250 Besucher einig, dass sich das Symposium mit dem Titel „Hintergründe, Einordnungen und Analysen“ gelohnt hat.

Experten trafen auch auf zwei indonesische Kuratoren von Ruangrupa, deren Gastprofessur an der HBFK für viel Empörung in Hamburg gesorgt hat, während Reza Afisina und Iswanto Hartono an der Kasseler Kunsthochschule in Ruhe arbeiten können. Die Heftigkeit der Reaktionen hat auch HFBK-Präsident Martin Köttering überrascht. Das Symposium war eine Antwort darauf.

Die Eröffnung

Als der israelische Soziologe Natan Sznaider die Einladung erhielt, den Eröffnungsvortrag zu halten, hörte er von jüdischen Freunden zwei Reaktionen. Die einen sagten, bei dieser Veranstaltung könne man nicht mitmachen, die anderen meinten, er müsse unbedingt dabei sein.

Die Ablehnung vor allem in der Jüdischen Gemeinde Hamburg war groß. Deren Mitglied Peter Zamory, der für die Grünen in der Bürgerschaft sitzt, sagte am Mittwoch am Rande: „Viele sagen, mit Leuten, die uns als Schweine darstellen, diskutieren wir nicht.“

Sznaider hat sich trotzdem entschieden, in der HFBK-Aula aufzutreten. Schon in Kassel sagte er vorigen Sommer, man hätte das Taring-Padi-Banner mit den antisemitischen Motiven auf dem Friedrichsplatz stehen lassen sollen, um darüber zu reden. In seiner lange beklatschten Rede plädierte der 68-Jährige für eine Ambiguitätstoleranz, also für die Fähigkeit, Vieldeutigkeit und Unsicherheit zu ertragen. Dies war nicht nur an die documenta-Kritiker gerichtet, sondern gerade auch an Ruangrupa, die es mit ihren Verteidigungsreden zu kritisierten Werken ausgeschlossen hätten, dass Kunst unterschiedlich wahrgenommen werden kann.

Die Kritiker

Einer der dezidiertesten documenta-Kritiker in Hamburg war Oliver Marchart. Der Wiener Philosoph sah nicht nur im vorigen Sommer Judenhass in Kassel, wo sich die Verantwortlichen von der umstrittenen Israel-Boykott-Bewegung BDS hätten vereinnahmen lassen. Für ihn ist etwa auch die Aussage des ehemaligen documenta-Leiters Roger M. Buergel quasi antisemitisch, der den Nahostkonflikt als Konflikt Nummer eins bezeichnet hatte. Auf polemische Art nannte Marchart weitere Beispiele und stellte die These auf, dass die „angebliche Morddrohung“ bei einem Einbruch in den Standort WH 22 im Mai 2022 von der documenta-Leitung und Oberbürgermeister Christian Geselle instrumentalisiert worden sei, um von der Antisemitismus-Kritik abzulenken. Nicht nur die Kunsthistorikerin Julia Voss fand dies eine „krasse Unterstellung“.

Die Co-Kuratorin der documenta-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin kritisierte ein „Branding“, also eine Vorverurteilung der Kunstschau schon lange vor der Eröffnung und forderte auch von den Medien Selbstkritik: „Es gab viele Falschmeldungen, die nie korrigiert wurden.“ Zugleich mahnte sie aber auch an, dass künftige Kuratoren Lust haben müssten auf die „Medienmaschine“, die jede documenta sei.

Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank, der die documenta erst beraten und sich dann zurückgezogen hatte, wiederum vermisste bei vielen documenta-Kritikern eben die Ambiguitätstoleranz. Man müsse das Gefühl verstehen, dass Palästinenser die Israelis hassen, jedes Volk würde dies mit seinen Besatzern tun.

Ruangrupa

Emotional wurde es Donnerstagmorgen, als Reza Afisina auf dem Podium saß. Das Ruangrupa-Mitglied sagte, es sei traurig, dass man mit dem Taring-Padi-Banner Gefühle verletzt habe. Das war vielen zu wenig. Auch Mendel forderte: „Versteckt euch nicht hinter Erklärungen. Bitte sagt, dass es antisemitisch ist.“ Zahlreiche Zwischenrufer waren ebenfalls nicht zufrieden mit den Antworten. Erst Iswanto Hartono konnte die Wogen etwas glätten, als er erklärte, dass das Banner überall und nicht nur in Deutschland wegen der NS-Vergangenheit des Landes antisemitisch sei. In Interviews hatten Ruangrupa dies auch schon gesagt. Trotzdem wollen es Kritiker immer wieder hören.

Afisina versicherte, dass er erst in Deutschland gelernt habe, dass die Darstellung antisemitisch sei. Das in Berlin lebende Taring-Padi-Mitglied Hestu A. Nugrohu zeigte Fotos, wie das Banner kollektiv entstand und wo es schon überall zu sehen war – von Australien bis China, wo es nirgends Kritik gegeben habe. Auf die Frage, ob das Bild noch einmal ausgestellt werde, antwortete er: „Wir wissen es nicht.“ Auch um BDS und den umstrittenen Beschluss des Bundestags dazu ging es am Donnerstag.

Die Reaktionen

Für den Grünen-Politiker Peter Zamory war das alles zu wenig. Die Antworten der Ruangrupa-Mitglieder seien nicht glaubwürdig. Sie wollten oder könnten nicht begreifen, was struktureller Antisemitismus sei.

Das Mitglied der Jüdischen Gemeinde kündigte an: „Für mich ist die Frage noch nicht endgültig geklärt, ob wir sie im zweiten Semester nicht wieder nach Hause schicken.“ Ein anderes Mitglied hat zudem Strafanzeige gegen Ruangrupa gestellt wegen Volksverhetzung.

Die Zukunft der documenta ist weiter offen. Demnächst soll der Bericht der Expertenkommission veröffentlicht werden. Eine Strukturreform wird gerade erarbeitet. Auch Reza Afisina, der wie viele andere Kasseler mit dem ICE aus seiner Wahlheimat angereist war, weiß nicht, wie es mit der documenta weitergeht, wie er sagte. Nur eines sei sicher: Er hoffe doch sehr, dass die nächste Ausgabe wieder in Kassel stattfinden werde. (Matthias Lohr)

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