Energie-Expertin sieht in Wind- und Solarkraft Waffe gegen Russland

DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert fordert wegen des Krieges in der Ukraine einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Im Interview erklärt sie, warum die Energiewende ein Friedensprojekt ist.
„Wir brauchen eine gemeinsam organisierte Transformation, weg von der fossilen, hin zu einer nachhaltigen Welt“, schreiben Sie in Ihrem Buch „Mondays for Future“. Wie optimistisch sind Sie, dass das gelingt?
Die drohende Klimakatastrophe versetzt viele Menschen in Panik. Nicht ohne Grund. Trotzdem habe ich mir den Optimismus auf die Fahnen geschrieben. Noch sind wir handlungsfähig. Wir müssen, aber wir können auch noch umsteuern. Das heißt: so schnell wie möglich weg von den fossilen Energien hin zu mehr erneuerbaren Energien und zum Energiesparen. Eine Krise jagt derzeit die nächste; alle hängen miteinander zusammen. Doch der Teufelskreis lässt sich durchbrechen. Wenn wir endlich ins Handeln kommen, können wir alle Krisen mit einer Klappe schlagen.
Welche Schritte müssen unternommen werden?
Die Emissionen müssen rapide sinken. Also weg mit der fossilen Energie! Stattdessen müssen wir das Ausbautempo der Erneuerbaren Energien erhöhen, mindestens um das Vierfache. Solarenergie gehört auf jedes Dach. Wärmepumpen müssen gefördert werden, ebenso die energetische Gebäudesanierung. Die Regierung muss Flächen für Windenergie ausweisen, Genehmigungsverfahren erleichtern und Beteiligungsmöglichkeiten für Kommunen verbessern. Die Industrie muss energieeffizienter werden. Im Verkehrssektor müssen wir weg von Benzin und Diesel, hin zu mehr Elektromobilität. Der Schienenverkehr muss gestärkt werden. Es geht um Verkehrsvermeidung, -verlagerung und -optimierung. Es gibt viel zu tun, und das schnell.
Technologien für Erneuerbare Energien sind Friedenstechnologien, lautet eine Ihrer Thesen.
Um fossile Energien hat es schon viele Kriege gegeben. Es ist kein Zufall, dass Russland ausgerechnet jetzt die Ukraine angreift, da Europa ernst macht mit dem Green Deal. Europa ist noch völlig abhängig vom russischen Gas und damit politisch nicht voll handlungsfähig. Deswegen gilt es, diese Machtschieflage endlich aufzubrechen. Geopolitische Konflikte vermeiden wir durch den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien, durch die Dekarbonisierung der Wirtschaft und eine konsequente Verkehrswende. Gleichzeitig stärken wir Wohlstand, Demokratie und Frieden. Dezentrale erneuerbare Energien schaffen Resilienz, stärken Demokratie und Freiheit. Die Energiewende ist das beste Friedensprojekt, welches wir weltweit haben.
Einige Politiker bringen die Atomenergie als klimafreundliche Lösung ein.
Die Gespensterdebatte um Atomkraft geistert seit Jahrzehnten umher und gehört endlich begraben. Atomenergie ist eine Technik der Vergangenheit, nicht der Zukunft. Die Kosten für einen AKW-Neubau sind gigantisch. Von den Kosten für den jahrzehntelangen Rückbau und für die jahrhundertelange Einlagerung des Atommülls ganz zu schweigen. Dazu fehlen immer noch Endlager. Ohne massive Subventionen werden keine Atomkraftwerke gebaut; die Risiken trägt die Gesellschaft. Atomenergie ist zu teuer, zu unsicher, zu unflexibel und zu riskant.
Was macht Grünen Wasserstoff als Technologie der Zukunft „grün“?
Um Wasserstoff herzustellen, braucht man sehr viel Energie. Das ist – wegen Klima und Umwelt – nicht Atomoder fossile Energie, sondern Ökostrom. Nur dann reden wir von grünem Wasserstoff. Wenn Wasserstoff aus fossilem Erdgas hergestellt wird, erhöht man nicht nur die Emissionen, sondern verlängert die fossilen Geschäftsmodelle und politischen Abhängigkeiten. Weil aber Wasserstoff so energieintensiv hergestellt werden muss, ist er knapp und teuer und nur etwas für besondere Anlässe. Er ist praktisch der Champagner unter den Energieträgern. Und er sollte nur da eingesetzt werden, wo es keine direkte elektrische Alternative gibt – etwa in der Schwerindustrie, im Schiffs- oder Flugverkehr.
Die meisten Menschen befürwortet die Energiewende. Woran hapert es?
Die Energiewende wird unnötig gebremst: durch unzureichende politische Rahmenbedingungen und zu viel Einflussnahme fossiler Lobbygruppen. Beispielsweise sind die Planungs- und Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien zu kompliziert, aufwändig und teilweise schädlich. Bürger-Energien wurden ausgebremst, zu wenig Flächen für Windenergie bereitgestellt und die Energiewende immer wieder schlecht geredet. Wir könnten leicht das Energiesparen voranbringen und statt unsinniger Tankrabatte ein Mobilitätsgeld für klimaschonende Mobilität anbieten.
Ein Gesetzesentwurf soll nun den Ausbau der Windenergie erleichtern. Kommt der Aufschwung?
Das hoffe ich sehr, da wir in jedem Bundesland mindestens zwei Prozent der Fläche bereitstellen müssen, um die Ausbauziele zu erreichen. Der Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Um die Akzeptanz zu stärken, sollten statt pauschaler Abstandsregeln besser mehr finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden. Unbedingt müssen die Verfahren erleichtert und juristisch gesichert werden, damit sie innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden können. Das mahnt auch die EU an, davon sind wir derzeit weit entfernt.
Zur Person Claudia Kempfert
Die Ökonomin und Autorin Dr. Claudia Kemfert (53) ist Professorin für Energie-Ökonomie und -politik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. Sie lehrt außerdem an der Leuphana Universität Lüneburg.