Große Hilfsbereitschaft für Geflüchtete in Kassel: Er unterstützt die Engagierten

Jochen Gollbach kam über Brüssel und Berlin nach Kassel und unterstützt die Engagierten. Seit 2020 ist er bei der Stadt beschäftigt. Er hat schon so manches erlebt.
Kassel – Dass Jochen Gollbach Sinn für Humor hat, lässt sich schnell erkennen. Es bedarf nur der Frage nach der genauen Bezeichnung seiner Tätigkeit. Der 54-Jährige nennt sich offiziell Koordinator für bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt der Stadt Kassel. „Gut, dass die Visitenkarten im Querformat gedruckt werden“, sagt er dazu. Auf seiner Internetseite bezeichnet sich der Doktor der Sozialwissenschaften schlicht als Engagementförderer.
Gollbach ist dabei vor allem ein Netzwerker, der in diesen Tagen und Wochen gefragter ist denn je. Er bündelt das große Engagement der Menschen, die nach der Invasion der Russen in die Ukraine irgendwie helfen, die irgendetwas tun wollen – vornehmlich für die Geflüchteten, die aus der Ukraine nach Kassel kommen.
Innerhalb einer Woche nach Kriegsausbruch hat Gollbach 60 Organisationen an einen virtuellen Runden Tisch bekommen, um so der Hilfsbereitschaft eine Ordnung zu geben. Mittlerweile sind fast 200 Institutionen vertreten: Initiativen, Einrichtungen, Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände, Vereine, die Ortsbeiräte, die Stadtverwaltung, aber auch Privatpersonen, die etwa über Facebook Hilfsinitiativen gegründet haben. Kurzum: Fast alle, die wiederum im direkten Kontakt zu Geflüchteten stehen.
Gollbach informiert und fragt, wo und an was Bedarf besteht. Sehr schnell stellte sich zum Beispiel heraus, dass viele Geflüchtete mit ihren Haustieren aller Art nach Kassel gekommen sind. Nur: Wie umgehen damit? Gollbach bat das Veterinäramt, an den virtuellen Treffen teilzunehmen, um Informationen zu geben. Mittlerweile kommen viele Fragen zum Thema Arbeit auf, zur Anerkennung von Berufsabschlüssen. Die meisten Geflüchteten, das bestätigt Bürgermeisterin Ilona Friedrich, wollen schnell wieder einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Und sie wollen auch, dass ihre Kinder die Schule besuchen. Gollbach unterstützt die Akteure, wenn es etwa darum geht, Flüchtlingscafés aufzubauen oder die Einrichtungen zu begleiten, passende Angebote zu entwickeln. Das Ziel ist es, das Engagement der Menschen so passend wie möglich einzusetzen. Zum Beispiel gibt es viele Berufstätige, die sich engagieren wollen. Das bedeutet, dass die Organisationen Hilfsangebote schaffen müssen, bei denen die Helfer außerhalb ihrer Arbeitszeiten eingesetzt werden können.
Mitunter muss Gollbach aber auch ganz konkret eine Lösung finden – wie kürzlich, als zwei geflüchtete Frauen aus dem ukrainischen Olympiateam fragten, wo sie hier ihrem hochklassigen Karatesport nachgehen können. Gollbach hat sie an den Sportbund vermittelt.
Friedrich bezeichnet Gollbachs Art als erfrischend und bereichernd. Vor allem ist der 54-Jährige ein Typ: Dass er aus Schwaben kommt, ist unüberhörbar. Er ist in Stuttgart aufgewachsen, hat die Hauptschule besucht, eine Ausbildung zum KfZ-Mechaniker absolviert, Wehrdienst geleistet, erst die Mittlere Reife gemacht, dann das Abitur, später Sozialwissenschaften studiert, promoviert. In Brüssel war er als politischer Berater tätig, in Berlin-Marzahn Leiter der Freiwilligen-Agentur.
Irgendwann ist es ihm, seiner Frau und den beiden Söhnen in Berlin zu laut geworden, zu trubelig. Die Familie wollte weg. Die Wahl fiel auf Kassel, weil er die Aufgabe hier als spannend ansah – aber auch, weil der Ort auf einer Achse liegt, die bis Bremerhaven reicht. „Hier haben wir im Abstand von 50 Kilometer nämlich überall Familie oder Freunde.“
Gollbach begann im März 2020 bei der Stadt, kurz bevor Corona fast alles lahmlegte – die erste große Herausforderung. Mittlerweile hat er die Stadt schätzen gelernt. Er fährt nicht mehr – wie in Berlin – 60 Minuten zur Arbeit, sondern acht. Und die Stadt erinnert ihn an seine Heimat Stuttgart: mit der Tallage, mit den 50er-Jahre-Bauten – „und mit dem Dialekt, den Auswärtige schwer verstehen“. Wie gut, dass er ein Hobby hat, bei dem es zwar auf die richtigen Töne, nicht aber auf die Aussprache ankommt. Er spielt mit Leidenschaft Trompete. (Florian Hagemann)