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Kasseler Katholik Marcus Leitschuh über den synodalen Weg der Kirche: „Erster Aufschlag für Veränderungen“

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Von: Katja Rudolph

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Marcus Leitschuh sitzt in den leeren Kirchenreihen in der Kirche St. Elisabeth.
Marcus Leitschuh in der Kirche St. Elisabeth in Kassel © Schachtschneider, Dieter

Kassel – Dreieinhalb Jahre lang hat der Kasseler Marcus Leitschuh den Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland im Synodalen Weg als Vertreter der Laien begleitet und mitgestaltet. Wir sprachen mit dem 50-Jährigen, der nun in einem Anschlussgremium weiter an Reformen der Kirche mitarbeiten wird.

Nach einem Eklat stand der Synodale Weg im September auf der Kippe. Sie sprachen damals von einer Stimmung zwischen Schock und Optimismus. Was überwiegt für Sie nun am Ende?

Auf dem Weg nach Frankfurt zur letzten Vollversammlung war genau diese Stimmung immer noch da. Es war in der Zwischenzeit durchaus auch über eine Exit-Strategie nachgedacht worden. In der Versammlung wurde es dann aber von Stunde zu Stunde besser, und am Schluss war sogar ein bisschen Euphorie zu spüren. Anders als bisher haben sich diesmal auch die Kritiker argumentativ zu Wort gemeldet und nicht einfach nur geheim mit „Nein“ gestimmt. Die Bischöfe haben von einem Lernprozess gesprochen, in dem sie sich befinden. Die Stimmung war offen und ehrlich. Das heißt nicht, dass nur Friede, Freude, Eierkuchen herrschte. In vielen Grundfragen wurde gestritten. Aber die Bischöfe haben sich sichtlich bemüht, Kompromisse zu finden. Die Laien übrigens auch.

Ein konkretes Ergebnis ist, dass künftig Segensfeiern für homosexuelle Paare möglich sind. Wie groß ist die Signalwirkung dieses Beschlusses?

Es ist ein Paradigmenwechsel. Wenn mir Anfang 2022, als die Initiative Out in Church von queeren Katholikinnen und Katholiken an die Öffentlichkeit gegangen ist, jemand gesagt hätte, dass es ein Jahr später in allen Diözesen möglich ist, dass homosexuelle Paare sich segnen lassen dürfen – ich hätte es nicht für möglich gehalten. Erst die Reform des katholischen Arbeitsrechts Ende vorigen Jahres, wonach die Kirche etwa eine Kita-Leiterin, die in einer lesbischen Beziehung lebt, deshalb nicht mehr entlassen darf. Und nun ein klares Ja für alle Paare, die sich lieben und mit dem Wunsch nach Segen kommen. Das betrifft auch wiederverheiratete Geschiedene, denen bisher ein schlichter Segen verweigert wurde. Das ist ein großer Schritt.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Errungenschaften?

Es wurden für viele Bereiche der Kirche sehr gute theologische Texte erarbeitet. Unter anderem, dass es eine urchristliche Haltung ist, die Zeichen der Zeit zu deuten, also dass Kirche sich dem echten Leben zuwenden soll, so wie es im 21. Jahrhundert eben ist.

Die spürbarsten Ergebnisse sind aber sicherlich die, die im Prinzip ab sofort für Veränderungen sorgen: etwa, dass befähigte Laien, auch Frauen, predigen dürfen und dass Kirche synodaler werden soll mit mehr Mitbestimmung auf allen Ebenen. Ebenso wichtig sind aber auch die Appelle an die Weltkirche und den Papst. Gerade zur Frauenfrage, Öffnung des Priesteramts und Zölibat gab es viele Diskussionen. Die Bischöfe waren bereit, beim Diakonat der Frau mitzugehen. Mit der klaren Forderung nach dem Diakonat ist ein erster, wichtiger Schritt gegangen.

Durch Kompromisse wurden viele anfängliche Ziele aufgeweicht. Wie frustrierend ist es, wenn am Ende der kleinste gemeinsame Nenner steht?

Naja. Das Papier für den Zugang von Frauen zu Weiheämtern hat insgesamt mehr als 93 Prozent Zustimmung bekommen, auch 80 Prozent der Bischöfe waren dafür. Die Botschaften, die vom synodalen Weg jetzt nach außen gehen, sind mit riesigen Mehrheiten gefasst worden. Einige Dinge wurden nicht beschlossen, wie das gescheiterte Papier zur Sexualethik. Einigen gehen die Ergebnisse nicht weit genug, sie hätten sich direkt auch die Forderung nach dem Priesteramt der Frau und der sakramentalen Ehe für homosexuelle Paare gewünscht. Aber so ist das bei einem Weg: Einige rennen vor und erkunden, andere gehen langsamer.

Hätten Sie sich mehr gewünscht?

Ich halte die Beschlüsse für gut und richtig. Sie sind ein erster Aufschlag für Veränderungen, die realistisch sind. Eine riesige Chance liegt darin, dass ab Oktober die Weltsynode im Vatikan tagt. Was wir diskutiert haben, liegt dann vor. Ähnliche Themen bewegen viele Länder der Welt: Überall gibt es weniger Priester, größere Gemeinden und die Frage, wie Kirche noch den Glauben vermitteln kann. Während unserer Synodalversammlung in Frankfurt hat der Papst sich in einem Interview in Argentinien sowohl zur Segnung von Homosexuellen als auch zur Aufhebung des Pflichtzölibats vielversprechend geäußert. Insgesamt habe ich das deutliche Signal gespürt: Hey, Veränderungen in der Kirche können auch schneller passieren, als es manchem vielleicht lieb ist.

Aus Rom gab es allerdings bis zuletzt viel Gegenwind gegen die deutschen Reformvorhaben. Welchen Wert haben die Beschlüsse des Synodalen Wegs, die nur Appellcharakter an den Vatikan haben?

Gerade mit Blick auf die Weltsynode sehe ich klare Chancen auf Verwirklichung. Wenn der Papst in dem auf zwei weitere Jahre angelegten synodalen Prozess der Weltkirche mitbekommt, dass auf allen Kontinenten Fragen zu ähnlichen Themen gestellt werden, aber es auch Ungleichzeitigkeiten bei bestimmten Themen wie dem Frauenpriestertum gibt, habe ich eine Hoffnung: dass am Ende nicht zentralistisch entschieden wird, sondern verschiedene Lösungen in jeweiligen regionalen Kulturen und Kirchen gefunden werden dürfen. Ich glaube, dass Vielfalt in der Einheit der Weltkirche das entscheidende Wort sein wird.

In den letzten Jahrzehnten hat die katholische Kirche sich im Schneckentempo bewegt. Was glauben Sie: Werden Sie selbst Diakoninnen und den Fall des Pflichtzölibats noch erleben?

Ja, ich glaube, dass es nicht mehr lange dauern wird. Weil es beides schon gab. Bis 1023 waren verheiratete Priester Realität und sind es in der ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche heute noch. Entscheidend sind doch nicht das Geschlecht und der Beziehungsstatus, sondern die Fähigkeit und Berufung, Gottes Liebe zu vermitteln.

Als Mitglied des neu gegründeten Synodalen Ausschusses haben Sie die Aufgabe, den Synodalen Rat vorzubereiten. Ein dauerhaftes Gremium, dem Rom eine Absage erteilt hat. Wie kann man etwas vorbereiten, was gar keine Perspektive hat?

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Wie kann man etwas ablehnen, das es noch gar nicht gibt? Der Synodale Ausschuss, der sich aus 27 Bischöfen, 27 Laien und weiteren 20 Fachleuten zusammensetzt, wird die Umsetzung der Beschlüsse des Synodalen Wegs in den kommenden Jahren begleiten. Und er wird grundsätzliche Strukturen für mehr Mitbestimmung in der Kirche erarbeiten, an deren Ende der Synodale Rat stehen soll. Wenn sich dabei herausstellt, dass der Name des Gremiums oder seine Kompetenzen etwa im Haushaltsrecht problematisch sein sollten, kann man darauf eingehen.

Sie haben viel Zeit und Arbeit in den Synodalen Weg gesteckt und tun es weiter. Was treibt Sie dabei an?

50 Jahre Kirchenerfahrung – sowohl, was die positiven Seiten betrifft, als auch die Missstände. Weil ich die hilfreichen Seiten von Kirche schätze, will ich sie lebendig und einladend verändern. Auch den Jugendlichen, denen ich im Religionsunterricht begegne, möchte ich eine Struktur von Kirche ermöglichen, die in der heutigen Zeit und ihren Lebensumständen angekommen ist. Außerdem hatte ich Lust auf die Aufgabe. Der Heilige Geist hat mir Kreativität, Humor und Ausdauer für die Arbeit in solche Gremien mitgegeben. (Katja Rudolph)

Am Donnerstag, 23. März, 19.30 Uhr, hält Marcus Leitschuh im Kolpinghaus, Die Freiheit 2, einen Vortrag über das Ende des Synodalen Wegs. Eintritt frei.

Was die Künstliche Intelligenz zur Kirche sagt

Für eine Mischung aus Erheiterung und Verblüffung sorgte Marcus Leitschuh bei der letzten Synodalversammlung. Er hatte dem Online-Programm ChatGPT die Aufgabe gestellt, eine Rede zur letzten Vollversammlung des Synodalen Weges zur Zukunft der Kirche zu schreiben. Aus dem Text, die die künstliche Intelligenz verfasste, zitierte Leitschuh:

„Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Wir haben uns auf den Weg gemacht, um uns mit den drängenden Fragen und Problemen der Kirche zu beschäftigen. Wir haben uns bemüht, eine Kirche zu gestalten, die sich den Herausforderungen unserer Zeit stellt und den Bedürfnissen der Gläubigen gerecht wird. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass unser Weg noch lange nicht beendet ist. Die Arbeit, die wir begonnen haben, muss weitergehen. Wir müssen uns weiter öffnen und auf diejenigen hören, die wir erreichen wollen.“ Ergänzend kommentierte Marcus Leitschuh dann mit eigenen Worten: „Ich finde, wenn das schon eine künstliche Intelligenz so sagt, dann sollten wir auch mit der getauften und gefirmten Intelligenz so sprechen, entscheiden und handeln. Heute und übermorgen bitte auch.“

Der Beitrag macht nun in Kirchenkreisen und darüber hinaus die Runde. „Da war ein bisschen der Kasseler Fullefischer in der Synodalversammlung unterwegs“, sagt Leitschuh, der leidenschaftlicher Karnevalist und Büttenredner ist, mit einem Augenzwinkern. Die am ersten Vormittag gehaltene Rede habe die Stimmung der Versammlung positiv mitgeprägt und aufgelockert, war Leitschuhs Eindruck. Er amüsiert sich vor allem über die Wortwahl der künstlichen Intelligenz, deren Rede „in der gleichen Sprache formuliert ist wie die Blase, in der wir uns da in Kirche manchmal bewegen.“

Ernst ist es ihm mit seinem Appell, als getaufte Katholiken den eigenen Intellekt zu nutzen und nicht nur auf die päpstliche Intelligenz zu warten.

Zur Person

Marcus Leitschuh (50) stammt aus Kassel und gehört zur Gemeinde St. Elisabeth (Foto), in deren Pfarrgemeinderat er sich engagiert. Seit mehr als 20 Jahren ist er Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Von diesem wurde er als Vertreter der Laien im Bistum Fulda in die Synodalversammlung gewählt. Zum Synodalen Weg und weiteren Kirchenthemen hat er auch Bücher veröffentlicht. Im Hauptberuf ist er Lehrer an der Freiherr-vom-Stein-Gesamtschule in Immenhausen und unterrichtet Religion und Deutsch. Er ist Mitglied der CDU-Stadtverordnetenfraktion. Im Karneval ist er als „Fullefischer“ bekannt. Leitschuh ist verheiratet und lebt in Kirchditmold.

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