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Abgeordneter Timon Gremmels zur Heizungsdebatte: „Es wurde viel mit Ängsten gespielt“

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Von: Bastian Ludwig

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Das Heizen ist teuer geworden. Einige Menschen haben einen Anspruch auf Sozialleistungen bei den Heizkosten.
Wie wird in Zukunft geheizt? Ampel diskutierte über Gebäude-Energiegesetz. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Die geplanten Änderungen am Gebäude-Energiegesetz – allen voran das ursprünglich geplante Verbot für neue Öl- und Gasheizungen ab 2024 – standen zuletzt in der Kritik. Über die Kompromisse des Koalitionsausschusses und die notwendigen Schritte für eine Energiewende sprachen wir mit dem Kasseler Bundestagsabgeordneten Timon Gremmels (SPD).

Kassel - Der Kasseler Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels ist energiepolitischer Koordinator seiner Fraktion. Zudem sitzt er im Ausschuss für Klimaschutz und Energie. Als Experte auf dem Themengebiet nimmt er Stellung zur Energiewende und zum Kompromiss der Ampel.

Herr Gremmels, wie bewerten Sie den Kompromiss der Ampel, der im Koalitionsausschuss gefunden wurde?

Wichtig ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger sowie das Heizungshandwerk zeitnah Klarheit bekommen. Dafür legen die Beschlüsse des Koalitionsausschusses eine gute Grundlage. Noch im April soll ein überarbeiteter Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes vom Bundeskabinett beschlossen werden. Daran schließen sich die Beratungen im Bundestag an. Als selbstbewusste Abgeordnete behalten wir uns vor, weitere Änderungen im Interesse der Eigentümer und Mieter vorzunehmen, ohne das Ziel aufzugeben, bis 2045 im Gebäudebereich klimaneutral zu werden. Wir wollen das Gesetz vor der Sommerpause im Bundestag verabschieden.

Zwischenzeitlich war geplant, keine neuen Öl- und Gasheizungen ab 2024 mehr zuzulassen.

In der politischen und medialen Debatte wurde in den vergangenen Wochen viel mit den Ängsten der Leute gespielt. Dies lag auch daran, dass vom federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schlecht kommuniziert wurde. Niemand hatte vor, funktionierende Heizungen aus den Häusern zu reißen.

Timon Gremmels SPD-Bundestagsabgeordneter
Energieexperte: Timon Gremmels ist SPD-Bundestagsabgeordneter © Hagemann, Florian

Waren die Ängste der Menschen denn unbegründet?

Wir müssen die Sorgen der Menschen ernstnehmen. Ich hatte neulich eine Begegnung mit einem 83-jährigen Rentner im Supermarkt. Er sprach mich an. Er sagte mir, er könne sich bei einem Ausfall seiner Ölheizung keine teurere Alternative leisten und bekomme in seinem Alter auch keinen Kredit mehr. Deshalb war ich schon vor dem gefundenen Kompromiss dafür, für solche Gruppen Lösungen zu finden, um niemanden zu überfordern. Dies gilt auch für die Mieter, damit diese die Kosten der Modernisierung nicht alleine tragen müssen. Niemand darf aufgrund von schärferen Anforderungen sein Haus oder seine Wohnung verlieren.

Aber was ist mit dem Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2045 die Treibhausgasneutralität zu erreichen?

Die SPD steht zum Erreichen des Zieles bis 2045. Aber wir müssen den Weg dahin mit den Menschen gehen. Akzeptanz, Vertrauen und Verlässlichkeit sind sehr wichtig, damit die Energiewende auch im Gebäude ein Erfolg wird.

Haben Sie die Aufregung um das von Wirtschaftsminister Habeck ins Spiel gebrachte Verbot für neue Öl- und Gasheizungen ab 2024 verstanden?

Das viel diskutierte Vorhaben, das ab 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden soll, ist keine neue Idee. Sie war bereits im Koalitionsvertrag für das Jahr 2025 hinterlegt, also auch von der FDP so gewollt. Durch den Ukraine-Krieg wurde der Plan vorgezogen, um schneller unabhängig von fossilen Energien zu werden. Auch unter dem Aspekt der Energiekosten ist dieser Weg zumindest mittel- bis langfristig sinnvoll. Ein Problem sind aber die einmaligen hohen Investitionen, die für Alternativen zur Öl- und Gasheizung wie etwa Wärmepumpen und Hybridheizungen notwendig sind. Dafür brauchen wir gut ausgestattete verlässliche Förderprogramme, klare gesetzliche Vorgaben und großzügige Übergangs- und Ausnahmeregelungen sowie einen sozialen Ausgleich.

Nun sollen ab 2024 zumindest neue fossile Heizungen nur noch in Ausnahmefällen – etwa wenn keine Alternativen in einer Immobilie möglich sind – installiert werden dürfen.

Das ist richtig. Der Betrieb von bestehenden Anlagen wird aber nicht beschränkt. Wenn die fossile Heizung kaputt geht, darf selbstverständlich auch repariert werden. Aber auch wer eine funktionierende Gas- oder Ölheizung hat, kann diese nachrüsten und so Energie und damit Kosten sparen. So können beispielsweise energiesparende Pumpen eingebaut werden. Das kann sich mitunter sehr schnell rechnen.

Für den Austausch der alten Heiztechnik braucht es nicht nur gut ausgestattete Förderprogramme, sondern auch Handwerker, die die Technik installieren.

In der Tat gibt es derzeit weder genug Wärmepumpen auf dem Markt noch ausreichende Fachleute, die diese kurzfristig installieren könnten. Wir müssen in die Ausbildung und die Anwerbung aus dem Ausland investieren. Es muss darüber hinaus das Ziel sein, möglichst viele Wärmepumpen in Deutschland zu produzieren. Der nordhessische Hersteller Viessmann weitet seine Produktion gerade deutlich aus. Es wäre falsch, diese Technik vor allem aus Asien zu beziehen, da es gute Alternativen „Made in Germany“ gibt. Zudem sind Wärmepumpen nicht für jedes Gebäude sinnvoll. Es muss individuell geschaut werden, welche Energieversorgung geeignet ist. Der nun gewählte technologieoffene Ansatz ist richtig, da Nah- und Fernwärme, Solarthermie, Biomasse und perspektivisch auch Wasserstoff die Wärmeversorgung sicherstellen können. Bereits jetzt gibt es Hybridformen aus Gasheizung und Wärmepumpen. Dafür braucht es mehr unabhängige Beraterinnen und Berater, die den Verbrauchern nicht bloß ihr Produkt verkaufen wollen. (Bastian Ludwig)

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