Streit in Kasseler SPD: Ex-Dezernent Barthel tritt aus Partei aus

Ein weiterer prominenter Kasseler Sozialdemokrat hat die Partei verlassen: Ex-Dezernent Jürgen Barthel ist nach 50 Jahren ausgetreten und kritisiert SPD-Chef Ron-Hendrik Hechelmann.
Kassel – Nach Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle und dem ehemaligen Vorstandsmitglied Rosa-Maria Hamacher ist ein weiteres prominentes SPD-Mitglied aus der Partei ausgetreten: Jürgen Barthel, der 24 Jahre lang unter anderem Stadtkämmerer war, ist kein Genosse mehr. Gegenüber der HNA bestätigte der 70-Jährige seinen Austritt.
Fünf Jahrzehnte lang war Barthel Sozialdemokrat. In die Partei war er wegen Willy Brandt eingetreten. Nun hat er seine SPD verlassen, weil er unglücklich war „über die Entwicklung der Partei in den vergangenen zwölf Monaten“, wie er sagt: „Das habe ich dem Parteivorsitzenden auch sehr deutlich geschrieben. Über seine Antwort bin ich enttäuscht.“
Mehr wollte Barthel, der in seiner Zeit als Magistratsmitglied von 1991 bis 2015 zwischenzeitlich auch als Sozialdezernent und Stadtbaurat wirkte, nicht sagen. Sein Austritt macht jedoch deutlich, dass sich die Kasseler SPD nach wie vor tief in der Krise befindet.
Oberbürgermeister Geselle hatte sich voriges Jahr mit seiner Partei überworfen. Anlass waren mögliche Koalitionsgespräche mit der CDU, die die Parteigremien dreimal mehrheitlich abgelehnt hatten. Zur Wahl im März trat er als unabhängiger Kandidat an. Nach dem ersten Durchgang, aus dem er als Erster hervorging, zog er sich überraschend zurück und erklärte später seinen Parteiaustritt – ebenso wie Hamacher, die Vorsitzende seiner Wählerinitiative.
Isabel Carqueville, die von der SPD ins Rennen geschickt worden war, holte bei der Wahl lediglich 12,7 Prozent. Die Sozialdemokraten im einst roten Kassel müssen bald nicht nur mit einem Grünen-OB Sven Schoeller leben, sondern auch auf ihre bisherigen Dezernenten Ilona Friedrich und Dirk Stochla verzichten. Für sie sucht die Jamaika-Koalition aus Grünen, CDU und FDP gerade Nachfolger.
Welche Folgen das Wahldebakel und der Streit zwischen den beiden Parteiflügeln aktuell auf die Mitgliederzahl haben, kann man bei der SPD noch nicht sagen. Die Zahlen würden immer erst zu Beginn des Folgejahres ausgewertet, heißt es. Derzeit hat die Partei etwa 1300 Mitglieder. In den vergangenen beiden Jahren habe es jeweils 50 Ein- und Austritte gegeben.
Parteichef Ron-Hendrik Hechelmann, der sich immer wieder Rücktrittsforderungen ausgesetzt sieht, wollte Barthels Austritt nicht kommentieren – mit Hinweis auf den Datenschutz. Auch zur Kritik des langjährigen Dezernenten an seinem Antwortschreiben wollte er nichts sagen. Es sei aber „immer schade, wenn ein Mitglied die sozialdemokratische Partei verlassen will. Dies bedauere ich ausdrücklich.“
Man bemühe sich um jedes Mitglied und unterscheide nicht nach Zugehörigkeitsdauer. „Insbesondere in den durchaus turbulenten Zeiten in den letzten Wochen und Monaten habe ich darüber hinaus allen Mitgliedern angeboten, für ein persönliches Gespräch zur Verfügung zu stehen“, sagte Hechelmann.
Barthel hatte einst seinen Nachfolger Geselle als Stadtkämmerer eingearbeitet. Anders als die ehemaligen Oberbürgermeister Bertram Hilgen, Wolfram Bremeier und Hans Eichel ging er zum aktuellen Rathaus-Chef nicht auf Distanz.
Auch Sozialdezernentin Ilona Friedrich zählt zum rechten oder pragmatischen Flügel der Partei. Im Gegensatz zu Barthel will sie nicht austreten: „Ich bleibe in der SPD. Das ist meine Partei. Ich werde aber beobachten, wie es in der Kasseler SPD weitergeht.“ Entscheidend dafür wird wohl der Unterbezirksparteitag am 3. Juni sein, auf dem die Genossen einen neuen Vorstand wählen.
Hechelmann, der im Oktober als Kandidat für die Landtagswahl antritt, will wiedergewählt werden. Derzeit, so heißt es, würden die beiden Flügel daran arbeiten, wie der künftige Vorstand zusammengesetzt sein könnte, um die Partei wieder zu einen. (Matthias Lohr)