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Ex-Landrat Schlitzberger zum SPD-Streit in Kassel: Das wäre mir nicht passiert

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Von: Andreas Hermann

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Im HNA-Interview nimmt Ex-Landrat Udo Schlitzberger Stellung zur SPD in Stadt und Kreis

Kassel – Nach der Oberbürgermeisterwahl in Kassel scheinen die Gräben zwischen den beiden SPD-Parteiflügeln tiefer denn je – und eine Annäherung ist nicht in Sicht. Der Sozialdemokrat Udo Schlitzberger hatte es als Landrat des Landkreises Kassel (1991 bis 2009) gleich mit drei Kasseler Oberbürgermeistern zu tun: mit Wolfram Bremeier (SPD), Georg Lewandowski (CDU) und Bertram Hilgen (SPD). Wir sprachen mit dem ehemaligen SPD-Bezirksvorsitzenden über die schwierige Lage in Kassel und die Unterschiede zwischen den Genossen in Stadt und Kreis.

Sie sind 55 Jahre in der SPD, waren lange Parteichef im Landkreis Kassel und in Nordhessen. Wie sehen Sie die Situation in der Kasseler SPD?

Ehrlich gesagt, kann ich immer noch nicht verstehen, dass sich dieser Streit so zugespitzt hat. Wie es dazu kommen konnte, dass bei der Oberbürgermeisterwahl der sozialdemokratische Amtsinhaber Christian Geselle als unabhängiger Kandidat antrat und mit Isabel Carqueville eine SPD-Kandidatin gegen ihn antrat. Die Folgen sind bekannt: Der neue OB von Kassel wird ein Grüner sein.

Befürchten Sie, das SPD-Chaos in Kassel könnte auf den Kreis übergreifen?

Nein, ich habe keine Sorge, dass da etwas zum Beispiel bei Wahlen direkt auf den Landkreis überschwappen könnte. Aber ich mache mir schon Sorgen um die regionale Bedeutung der SPD.

Was meinen Sie mit regionaler Bedeutung?

In Kassel ist kein Sozialdemokrat mehr Oberbürgermeister. Ende des Jahres wird die SPD gar keinen Dezernenten mehr stellen. Was die Einwohnerzahl und die wirtschaftliche Bedeutung betrifft, stehen der Kasseler OB und der Landrat des Landkreises Kassel aber für halb Nordhessen. Sie sind in wichtigen Aufsichtsräten von Organisationen mit regionaler Bedeutung. Künftig wird kein Vertreter der Kasseler SPD an der Spitze dieser Gremien stehen, sondern der grüne Sven Schoeller. Das gilt auch für die Kasseler Sparkasse, in deren Aufsichtsrat OB und Landrat den Vorsitz im Wechsel innehaben, sowie für den Zweckverband Raum Kassel, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Region Kassel sowie für Verkehrsverbund und Fördergesellschaft Nordhessen (NVV). Durch den Verlust des OB-Amtes verliert die SPD an Einfluss in der Region. Das ist nicht zu unterschätzen.

Was läuft bei der SPD im Landkreis anders als bei der SPD in Kassel?

Die SPD in Kassel hat schon immer eine größere Bandbreite aufgewiesen. Das liegt auch an der Universität. Sie ist deshalb stärker strukturellen Veränderungen ausgesetzt als die SPD im Landkreis. Vor allem aber haben wir es als SPD im Kreis immer geschafft, die personellen Wachwechsel völlig problemlos hinzubekommen. Das war so bei dem Wechsel der Landräte – von mir auf Uwe Schmidt und Andreas Siebert. Und das war auch so bei der Nachfolge der Landtagskandidaten beziehungsweise Landtagsabgeordneten.

Gab es bei der SPD im Kreis etwa nie Gerangel, wenn es um Posten ging?

Natürlich gab es auch bei der SPD im Landkreis Auseinandersetzungen und Gegenkandidaturen. Als ich zum Beispiel in den 1980-er-Jahren für den SPD-Bezirksvorsitz antrat, gab es mit Norbert Schüren aus Marburg einen Gegenkandidaten. Ich habe mich damals knapp durchgesetzt – und wir pflegen bis heute ein freundschaftliches Verhältnis miteinander. Gleiches gilt übrigens für meine Nachfolger als Landräte.

Im OB-Wahlkampf in Kassel haben drei ehemalige Oberbürgermeister sogar Position gegen den Amtsinhaber bezogen.

Was Bertram Hilgen, Hans Eichel und Wolfram Bremeier mit ihrem Wahlaufruf für die SPD-Kandidatin Carqueville und damit indirekt gegen Christian Geselle getan haben, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ein solches Zerwürfnis hat es bei der SPD im Landkreis noch nicht gegeben. Es gab hier auch nie diese Flügelkämpfe. Wir haben es trotz unterschiedlicher Ansichten und auch heftiger Diskussionen immer hinbekommen, noch einen Schoppen miteinander zu trinken.

Der SPD-Streit in Kassel zieht sich seit Monaten hin. Wo sehen Sie den Zeitpunkt, an dem er endgültig eskaliert ist?

Für mich ist das der Bruch bei der Frage der Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Als die Parteigremien des Unterbezirks darüber entschieden haben, waren in der Sitzung sowohl OB Geselle als auch Bezirkschef Timon Gremmels nicht anwesend, sondern sie waren lediglich per Video zugeschaltet. Ich hätte es als Landrat und als Bezirksvorsitzender nicht zugelassen, dass ein Termin gemacht wird, bei dem ich bei einer so wichtigen Entscheidung im Urlaub bin. Nein, das wäre mir wirklich nicht passiert.

Wer trägt die Schuld an dem Desaster?

Das kann man von außen nicht sagen. Und die SPD im Landkreis sollte es auch unterlassen, sich da einzumischen. Festzuhalten ist aber auch, dass die Stadt Kassel in meiner Zeit als Landrat noch hochdefizitär war und den Landkreis zum Beispiel beim Staatstheater finanziell mit in die Verantwortung nehmen wollte. Jetzt steht die Stadt finanziell gut da. Das ist nicht alles vom Himmel gefallen. Das hat auch Christian Geselle als OB und Stadtkämmerer mit auf den Weg gebracht. Das jetzt einfach so abtun zu wollen, finde ich nicht in Ordnung.

Und welchen Anteil hat Christian Geselle daran?

Ich bedauere es sehr, wenn Menschen in Führungspositionen nicht ausgleichend wirken. Geselles Verhalten hatte manchmal schon einen Hauch von Autorität. Das hat sich zum Beispiel auch bei der Auseinandersetzung mit dem Landkreis um das Wolfhager Krankenhaus gezeigt.

Was muss jetzt in der Kasseler SPD geschehen?

Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Es wird eine gewisse Zeit dauern, bis die SPD in Kassel wieder auf die Beine kommt. Sie muss sich jetzt in der Oppositionsrolle stabilisieren. Und es ist zwingend notwendig, im Landtagswahlkampf wieder zu einem Grundkonsens zu finden. Allen voran sehe ich da – wie Bezirkschef Timon Gremmels – die SPD-Landtagskandidaten Esther Kalveram und Ron-Hendrik Hechelmann in der Verantwortung. Schon im eigenen Interesse, denn Wahlen kann man als Partei nur gewinnen, wenn man Einigkeit ausstrahlt.

Was wird aus Geselles SPD-Unterstützern im Wahlkampf werden?

Politikerinnen und Politiker wie Ilona Friedrich, Wolfgang Decker und Volker Zeidler sind die Kasseler Sozialdemokraten, die nicht nur ich am besten kenne, sondern die auch in der Stadt und im Landkreis am bekanntesten sind. Ich kann nicht empfehlen, dass diese sich jetzt aus allen Ämtern und Funktionen zurücknehmen. Einfach nur auszuscheiden, wird der Verantwortung nicht gerecht. Der Gesprächsfaden muss wieder aufgenommen werden. Das wird nicht einfach. Aber mein Prinzip Hoffnung ist, dass die Kasseler SPD im Wahlkampf neu zusammenfinden wird.

Zur Person

Udo Schlitzberger (76) wurde in Kassel geboren und wuchs in Calden-Fürstenwald auf, wo er heute noch lebt. Nach Studium (Politik, Geschichte, Philosophie, Germanistik) und Staatsexamen war er Lehrer an der Gesamtschule Niestetal und am Oberstufengymnasium Oberzwehren.

Seit 1968 in der SPD, engagierte er sich zunächst bei den Jusos, wurde 1984 stellvertretender und 1989 dann Vorsitzender der SPD Kassel-Land (bis 1993). Von 1993 bis 2001 hatte er den SPD-Bezirksvorsitz Nordhessen inne.

Schlitzberger war von 1976 bis 1991 SPD-Landtagsabgeordneter. Der ehemalige Landrat des Landkreis Kassel (von 1991 bis 2009) beschäftigt sich im Ruhestand mit der Geschichte in der Region, schreibt auch darüber. Und er wandert gern.

(Andreas Hermann)

Mit einem in Wittenberg erworbenen Luther im heimischen Garten: Ex-Landrat Udo Schlitzberger, der passenderweise am Reformationstag, dem 31. Oktober, Geburtstag hat. archi
Mit einem in Wittenberg erworbenen Luther im heimischen Garten: Ex-Landrat Udo Schlitzberger, der passenderweise am Reformationstag, dem 31. Oktober, Geburtstag hat. © tanja temme

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