Für ein Entwerfen ohne Wegwerfen: Susanne Ritzmann ist neue Professorin an der Kasseler Kunsthochschule

Ein nachhaltiges Design fängt für Susanne Ritzmann im Nachdenken darüber an, ob es das Produkt überhaupt braucht. Wir stellen die neue Professorin der Kasseler Kunsthochschule vor, die auch Teil des Nachhaltigkeitszentrums der Uni ist.
Kassel – Nicht nur sprachlich trennen das Entwerfen vom Wegwerfen nur drei Buchstaben. Auch im Alltag enden viele Dinge, über deren Gestaltung Designerinnen und Designer sich viele Gedanken gemacht haben, früher oder später im Müll. Der Rolle von Nachhaltigkeit bei der Produktgestaltung und -entwicklung widmet sich an der Kasseler Kunsthochschule die neue Professorin Dr. Susanne Ritzmann.
Die 39-Jährige baut seit Anfang des Jahres das neue Fachgebiet innerhalb des Studiengangs Produktdesign auf und gehört mit ihrer Professur zugleich dem gerade gestarteten Nachhaltigkeitszentrum Kassel Institute an. In dessen interdisziplinäre Arbeit entlang der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen wird sie eine gestalterische Perspektive einbringen.
Nachhaltigkeit ist inzwischen zwar in der Werbung für viele Produkte – vom Kaffeebecher bis zur Waschmaschine – zum Zauberwort geworden. Als Susanne Ritzmann sich vor mehr als zehn Jahren mit dem Thema zu beschäftigten begann, war es noch eine Nische. Ihre mit einem Stipendium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderte Dissertation an der Universität der Künste Berlin unter dem Titel „Wegwerfen – Entwerfen“ widmete sie der Bedeutung von Müll im Designprozess sowie Nachhaltigkeit in der Designdidaktik. Darum kreist ihre wissenschaftliche Arbeit bis heute.
Im Produktdesign wird das Thema Nachhaltigkeit meist mit den verwendeten Materialien und deren ökologischen Auswirkungen bei Herstellung und Entsorgung in Verbindung gebracht. Ein Design, das wirklich nachhaltig ist, setzt für Susanne Ritzmann schon früher an: bei der Frage, ob es ein Produkt überhaupt braucht. Oder ob vorhandene notwendige Produkte etwa gemeinschaftlich genutzt werden können.
Die Designforscherin schaut dabei vor allem auf Praktiken des Alltags – etwa das Wäschewaschen. Während in Deutschland fast jeder Haushalt eine eigene Waschmaschine hat, sei es in der Schweiz üblich, dass im Keller von Mehrfamilienhäusern Maschinen zur Nutzung für alle stehen. „Darum herum entwickeln sich dann Praktiken, wie das am besten funktioniert“, sagt die 39-Jährige. Auch beim meist unnötig heißen und häufigen Waschen könne man ansetzen und Kleidung beispielsweise öfter auslüften statt waschen.
Statt um das Schaffen neuer, schöner Produkte geht es ihr darum, alternative Szenarien für Alltagshandlungen zu entwerfen: Weg vom Designerstuhl, hin zu einem grundsätzlichen Hinterfragen und Neudenken für mehr Nachhaltigkeit und weniger Müll. Auch die soziale Bedeutung des Wegwerfens spiele dabei eine Rolle, sagt Ritzmann: „Oft geht es um die Herstellung von Ordnung“.
Den Trend zum Upcycling, also der Herstellung von Produkten aus Reststoffen und Abfällen, sieht sie nicht als Ausweg aus der Wegwerfgesellschaft: „Das ist einfach eine Schleife mehr.“ Aber findet nicht jedes Produkt einmal sein Ende? „Das ist ein Glaubenssatz“, sagt die Professorin. Die Lebensdauer von Produkten habe sich in den vergangenen Jahrzehnten rapide verkürzt. Früher seien Möbelstücke über 100 Jahre verwendet worden. Auch die Qualität von Produkten sei eine ganz andere gewesen.
Zwar seien auch Verbraucher gefragt, ihre Verhalten zu ändern, sagt Susanne Ritzmann. „Aber das kann man nicht jedem Bürger aufs Brot schmieren, Gestalter haben die Aufgabe, das zu verdauen.“ Weil es kaum möglich sei, das gesamte System auf einen Schlag umzukrempeln, gelte es, Veränderungen auch im Kleinen anzustoßen.
Die gebürtige Brandenburgerin, die mit ihrem Mann und der 10-jährigen Tochter in Berlin ohne Auto lebt, bemüht sich, im Alltag einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. „Ich bin ein Mehrwegfan.“ Auch bei ihrer neuen Aufgabe in Kassel, die sie mit spürbarer Begeisterung angeht, leite sie letztlich der Wunsch, „einen Beitrag zu leisten, dass unsere Welt ein Stück besser wird“.
Die Stadt kannte Susanne Ritzmann bisher von ihren Besuchen im Fünf-Jahres-Rhythmus zur Weltkunstausstellung. Inzwischen hat sie festgestellt: „Kassel ist viel interessanter, wenn keine documenta ist – viel authentischer.“ Den schlechten Ruf, der den Nordhessen vorauseile, könne sie nicht nachvollziehen: „Berliner sind viel kaltschnäuziger.“ (Katja Rudolph)