Mit einer Serie beleuchten wir historische Standorte von Industrie und Gewerbe in Kassel. Diesmal: die Vogtsche Mühle.
Seit dem Mittelalter gibt es in der Nähe des Finkenherds die Mühle am Fuldaufer, in der Mehl gemahlen wurde. Heute wird hier mit Wasserkraft Strom für 670 Haushalte produziert.
Die Vogt’sche Mühle ist zweimal abgebrannt und im Krieg nahezu zerstört worden. Trotzdem gibt es sie noch. Der Mühlenstandort zwischen Weserstraße und Fulda hat eine besondere Tradition.
Die Wurzeln reichen bis ins Jahr 1154 zurück. Schon damals betrieb das Kloster Ahnaberg eine Mühle am linken Fuldaufer. Ihren heutigen Namen bekam sie nach einem Großbrand im Jahr 1869. Damals kaufte der Mehlhändler Otto Vogt das Gelände und baute die Mühle wieder auf. Vogt sicherte sich auch die Stau- und Wasserrechte. Das ist bis heute von Bedeutung.
Von dem zweiten Großbrand im Jahr 1926 sind Fotos überliefert. Damals rückten alle verfügbaren Feuerwehren aus Kassel und Umgebung an. Vogt, der aus einer Kasseler Bäckerfamilie stammte, baute die Mühle noch einmal auf. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs hätten dann fast das Ende des Mühlenstandorts bedeutet. 1958 kaufte der Autohändler (Borgward) Adolf Lange das Grundstück an der Fulda. Getreide wurde hier jetzt nicht mehr gemahlen. Lange nutzte die Wasserkraft anders als seine Vorgänger. Er setzte zu einer Zeit auf Ökostrom, als das noch nicht modern war. Damit betrieb er ein Sauerstoffwerk, das er neben der Mühle baute.
„Als mein Vater 1965 plötzlich starb, musste ich mich entscheiden“, sagt Annette Lange-Spohr. Eigentlich wollte sie studieren, trat dann aber mit 21 Jahren in die Fußstapfen des Vaters.
Nach einem halben Jahrhundert ist sie immer noch im Geschäft und produziert mit zwei Mitarbeitern Strom für 670 Haushalte. „Viele Leute denken, das sei die Lizenz zum Gelddrucken“, sagt Annette Lange-Spohr. Das sei aber ein Trugschluss. Beim Blick hinter die Kulissen wird schnell deutlich, wie groß der technische und bauliche Aufwand für den Betrieb des Wasserkraftwerks ist. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie den Standort dreimal umgebaut und die Technik modernisiert. Die Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes brachte mehr Planungssicherheit.
„Im Gegensatz zu anderen Kraftwerken kommt hier kein Fisch durch den Betrieb ums Leben“, sagt Annette Lange-Spohr. Die Turbinen seien sogenannte Langsamläufer, durch die kleinere Fische durchschwimmen können. Größere werden durch ein Gitter abgehalten. Das Kraftwerk beansprucht nur den Platz in den untersten Etagen des großen Gebäudes. Das wurde früher als Lagerhaus genutzt und beherbergt jetzt einen Möbelmarkt. Nebenan gibt es noch eine Autovermietung. Ein paar Jahre will Annette Lange-Spohr noch weitermachen. Was dann aus dem Kraftwerk wird, ist noch nicht entschieden. Es gebe mehrere Interessenten, sagt die Chefin, die seit einigen Jahren verwitwet ist.
Beim Zissel hatte sie übrigens einen Logenplatz. Den Wasserfestzug kann sie vom Ufer und vom Steg der Vogt’schen Mühle hautnah verfolgen. Der Steg dient als Abweiser für Äste und größeres Treibgut der Fulda. Das Wasserkraftwerk läuft übrigens das ganze Jahr über. Wasser kennt keine Flaute und auch kein trübes Wetter.
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