1. Startseite
  2. Kassel

Drechsler macht Furore mit „weit gereistem Apfel“

Erstellt:

Von: Christina Hein

Kommentare

Karl Schöberl – Drechsler, Schreinermeister, Gestalter im Handwerk – kreiert originelle Paarbeziehungen aus Holz und Porzellan. Hier sind es die Arbeiten „Bayerische Weißbuche und Dirndl neigen zur Übertreibung“ (links) und „Weitgereiste Rotbuche findet ihre Mitte“.
Der Deckel macht’s: Karl Schöberl – Drechsler, Schreinermeister, Gestalter im Handwerk – kreiert originelle Paarbeziehungen aus Holz und Porzellan. Hier sind es die Arbeiten „Bayerische Weißbuche und Dirndl neigen zur Übertreibung“ (links) und „Weitgereiste Rotbuche findet ihre Mitte“. © Andreas Fischer

Der Kasseler Schreinermeister Karl Schöberl drechselt skurrile Objekte und stellt sie im Museum aus.

Kassel – Wer hätte gedacht, dass der Kasseler Schreinermeister Karl Schöberl als Drechsler, dem altmodischen Beruf, den schon sein bayerischer Großvater ausgeübt hat, im Jahr 2023 Furore macht? Wer hätte noch vor ein paar Jahren vermutet, dass seine kleinen Arbeiten aus schön gezeichneten Hölzern, mit so geheimnis- wie humorvollen Namen wie „Weit gereister Apfel findet sicheren Hafen“ oder „Experiment mit freigiebigem Kirschbaum und sicherheitsbedürftiger Haube“ von einem Museum angekauft werden?

Und dort, im Museum Braunschweig, bestreitet Schöberl gerade mit rund 40 Exponate seiner Werkserie „Partnervermittlung“ eine Einzelausstellung.

Dabei war die Idee zu den Arbeiten unter dem Motto „Jedes Deckelchen findet sein Töpfchen – und wenn nicht, wird eins gedrechselt“ von Schöberls Seite aus mit Skepsis gestartet, erinnert sich der 64-Jährige: Sein Freund und Kollege, der Glasdesigner Udo Posch, kam eines Tages mit einem Sammelsurium an einzelnen Porzellandeckeln in die Werkstatt. Die dazugehörigen Gefäße waren kaputt oder verloren gegangen. „Ich bringe es nicht fertig, sie wegzuschmeißen“, sagte Posch: „Vielleicht kannst Du was daraus machen!“ Schöberl habe geantwortet: „Ach ne.“ Die anfallenden Arbeiten stünden in keinem Verhältnis zum Ergebnis.

Dann habe er die Schachtel in eine Ecke gestellt, sagt Schöberl: „Und die Deckelchen haben mich die ganze Zeit so traurig angeguckt wie verlorene Seelen, dass ich schließlich doch angefangen habe, Werkskizzen für dazu passende Holzobjekte anzufertigen.“

Schnell habe sich ein „kreatives Eigenleben“ entwickelt. Die Idee „Partnervermittlung“ war geboren.

Es entstanden lauter Unikate: runde, glänzende Deckeldosen aus den kontrastierenden Materialien Holz und Porzellan. Und was geschah: Immer mehr herrenlose Deckel landeten im Atelier.

Vor fünf Jahren bot Schöberl die Objekte zum ersten Mal in der Vorweihnachtszeit in der „Galerie auf Zeit“ zum Verkauf an. Die Besucher fanden sie originell, schmunzelten über die Titel, aber verkauft wurden sie nur zögerlich. Erst nach und nach und zuletzt schließlich während der documenta fifteen gingen die Objekte am Lumbung-Kiosk weg wie geschnitten Brot. „Sie gingen in alle Welt“, so Schöberl. Amüsiert fügt er hinzu: „Unter den Kunden befinden sich auffallend viele Paartherapeuten.“

Und so landeten die Objekte im documenta-Sommer schließlich auch im Museum Braunschweig, das eine bemerkenswerte Sammlung an Drechsler-Arbeiten besitzt. Jetzt sind zu den 40 000 Gefäßen aus unterschiedlichen Zeitaltern der Braunschweiger „Formsammlung“ drei Arbeiten aus Kassel hinzugekommen. Normalerweise widmet sich Schöberl größeren Formaten. Beruflich war er als Geschäftsführer einer „Holzmanufaktur mit ökologischem Anspruch“ gestartet. An der Kasseler Werkakademie hat er eine Ausbildung zum Gestalter im Handwerk gemacht. Inzwischen arbeitet er als selbstständiger Schreinermeister.

Zuletzt war Schöberl aufgefallen, weil er den Wettbewerb für den Altar und Abendmahlstisch für die Karlskirche gewonnen hatte. In seiner unverwechselbaren Handschrift fertigte er das Kirchenmöbel aus zwei verschiedenen Hölzern: hellem Ahorn und dunkelem französischem Walnussholz.

Schöberls Interessens- und Talentspektrum ist breit gestreut: Lange hat er sich für die Grünen in der Kommunalpolitik engagiert, im Ortsbeirat Unterneustadt und als Stadtverordneter und Sprecher seiner Fraktion.

Musikalisch tritt er als Tuba-Bläser der Band „Jazzie Brass Collektiv“ in Erscheinung. Mit seiner Partnerin lebt er in einem alten Försterhaus um das zehn Schafe grasen.

„Dass ich für mich das Drechseln wiederentdeckt habe, macht mich glücklich“, sagt er. Schließlich stamme er aus einer Drechsler-Dynastie, die bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht. „Damit werde ich weitermachen, so lange es mir Spaß macht.“

Info: Die Ausstellung „Partnervermittlung und andere nützliche Dinge zwischen Leben und Tod – Gedrechselte Objekte von Karl Schöberl“ ist bis 4. Juni im Museum Haus am Löwenwall Braunschweig zu sehen.

Auch interessant

Kommentare