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Elf weitere Stolpersteine in Kassel: Geschäftsfrau starb im KZ Theresienstadt

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Von: Christina Hein

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Im Palais Waitz von Eschen, bis zur Bombennacht 1943 am Opernplatz in Kassel, befand sich das Geschäft der jüdischen Familie Feldstein. Das Spohr-Denkmal steht noch dort.
Beste Lage in Kassel: Im Palais Waitz von Eschen, bis zur Bombennacht 1943 am Opernplatz, befand sich das Geschäft der jüdischen Familie Feldstein. Das Spohr-Denkmal steht noch dort. © Bettina Wienecke /Rolf Lang

Am Sonntag, 8. Mai, werden in Kassel elf weitere Stolpersteine für die Opfer des NS-Regimes verlegt.

Kassel. Seit 2011 verlegt der Künstler Gunter Demnig auch in Kassel Stolpersteine für die Opfer des NS-Regimes: jeweils vor das Haus, wo die Menschen zuletzt freiwillig gewohnt haben. Am Sonntag bekommt auch Anna Behrens einen Stolperstein.

Das Geschäft „S. Feldstein. Kunstwerkstätten für Herren- und Damenkleidung vornehmer Geschmacksrichtung“, als das es im Kasseler Adressbuch von 1925 aufgeführt wird, hatte einen hervorragenden Ruf über Kassel hinaus. Die bessere Gesellschaft ließ sich ihre Kleidung für besondere Anlässe in dem jüdischen Fachgeschäft maßanfertigen. Es befand sich in bester Lage im „Palais Waitz von Eschen“ am Opernplatz. Heute befindet sich dort das Kaufhaus C & A.

Die jüdische Geschäftsfrau Anna Behrens (Mitte) 1931 mit Enkel Rudolph, jetzt „Ralph“, auf dem Schoß. Er lebt heute 91-jährig in Australien. Die Großmutter starb in Theresienstadt.
Familienmensch: Anna Behrens (Mitte) 1931 mit Enkel Rudolph, jetzt „Ralph“, auf dem Schoß. Er lebt heute 91-jährig in Australien. Die Großmutter starb in Theresienstadt. © Privat

Das angesehene Unternehmen führte Anna Behrens, eine früh verwitwete umsichtige Geschäftsfrau, Mutter von zwei Kindern, Hilde und Hermann. Nach dem Tod ihres Mannes Gustav wohnte sie zuletzt ab 1908 im Haushalt mit ihrer Mutter Johanna und dem ledigen Bruder Sally – insgesamt hatte sie vier Brüder – in der Kronprinzenstraße 2, heute Friedrich-Engels-Straße. Als Sally 1928 starb, ging das florierende Geschäft an Anna Behrens über. Sie holte sich ihren Schwiegersohn Harry Nathan Epstein, der als Zuschneider im Betrieb eine wichtige Tätigkeit ausübte, als Geschäftsführer an die Seite. Er war mit Annas Tochter Hildegard verheiratet, die in der Firma als Buchhalterin tätig war.

„Von den Boykottmaßnahmen der Nationalsozialisten, die 1933 begannen, war das Geschäft, das unter ‘S. Feldstein’ firmierte, besonders betroffen“, schreibt Wolfgang Matthäus vom Verein Stolpersteine in Kassel im Gedenkblatt für die Familie. In einem Schreiben der Rechtsanwälte der Nachfahren aus der Nachkriegszeit heißt es: „Die Fa. S. Feldstein war das erste Herrengarderobe- und Maßschneidergeschäft am Platze. Die Kundschaft bestand zum allergrößten Teil aus Nichtjuden, die zu den ersten Kreisen der Stadt zählten und hohe Stellen in der Provinzial- und Stadtverwaltung, an den Gerichten und Militärdienststellen bekleideten. Für diese Kunden war es eine Unmöglichkeit, in ein offenes jüdisches Ladengeschäft zu gehen, wo sie von jedermann gesehen werden konnten, ohne zu riskieren (...), mit den größten Unannehmlichkeiten in beruflicher Hinsicht rechnen zu müssen.“

Anna Behrens war im Frühjahr 1934 gezwungen, das Geschäft an ihren Mitarbeiter Fritz Stephan zu verkaufen. Er führte es unter der dem Namen „Feldstein Nachf.“ weiter. Auf seinen Briefköpfen warb er mit der Tradition des jüdischen Familienunternehmens. Den Kaufpreis von 10 000 Reichsmark zahlte er nicht aus, sondern verhandelte eine lebenslange Rente an Behrens in Höhe von 42 RM.

Anna Behrens
Anna Behrens. © privat

Im November 1937 schied Harry Epstein aus der Firma aus. Wenige Tage später verließen er und seine Frau Hilde mit dem 1930 geborenen Sohn Rudolph Kassel und emigrierten nach Australien. Annas Sohn Hermann hatte schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges Kassel und später auch Deutschland verlassen. „Nach dem Krieg“, so hat Matthäus recherchiert, stellten Hermann aus London und seine Schwester Hilde aus Australien Entschädigungsanträge.

Anna Behrens blieb in Kassel und musste im Januar 1939 in die Entengasse 22 umziehen, ein Haus, in dem es jüdische und nichtjüdische Bewohner gab. Am 7. September 1942 wurde sie in das KZ Theresienstadt deportiert. Schon wenig später kam sie am 26. September 1942 im Ghetto ums Leben.

Am Sonntag, 8. Mai, ab 13.30 Uhr werden vom Verein Stolpersteine in Kassel in Abwesenheit von Gunter Demnig elf Stolpersteine verlegt. Die nächsten Verlegungen gibt es am 1. Juni. Die Steine am Sonntag werden verlegt in der:

Ruhlstraße 2 für Fanny Feldstein, geb. Katzenstein (1865) und Max Feldstein (1861). Beide fliehen am 15.11.1941 in den Tod.

Friedrich-Engels-Straße 2 (14.15 Uhr) für Anna Behrens (1872 -1942 in Theresienstadt); Harry Nathan Epstein (1892), Hilde Epstein geb. Behrens (1899); Rudolf Epstein (1937). Die Familie der Tochter von Anna Behrens floh 1937 nach Australien. Dort lebt Ralph (Rudolph) Epstein im Alter von 91 Jahren.

Goethestraße 1 (15 Uhr) für Berthold Schiff (1886, deportiert 1941 nach Riga, wurde befreit).

Herkulesstraße 6 (15.45 Uhr) für Julie Oppenheim geb. Sauerbier (1888), Viktor Oppenheim (1880). Beide flohen 1934 über Belgien in die USA.

Wilhelmshöher Allee 114 (16.30 Uhr): Hans Heinz Merkel (1892 kam 1944 ins KZ Stutthof, Todesmarsch tot am 14.5.1945.

Wilhelmshöher Allee 123: (17 Uhr) Emma Reimers geb. Weinberg (1871, Flucht in den Tod am 31.1.1945)

Infos: stolpersteine-in-kassel.de

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