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„Querdenker“ wollen Oberbürgermeister aufsuchen – Familie fühlt sich bedroht

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Von: Matthias Lohr

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Gegenprotest: Szene vom Samstag, als „Querdenker“ in Kassel auf die Straße wollten. Die verbotene Versammlung sollte Teil eines weltweiten Demonstrationstags sein.
Protest gegen „Querdenker in Kassel“ © Gregory Dauber

„Querdenker“ haben angekündigt, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle zuhause aufzusuchen. Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art in der Region.

Kassel – Seit Wochen warnen Experten vor einer Radikalisierung der „Querdenker“-Szene. Nun haben Kritiker der Corona-Maßnahmen angekündigt, den Oberbürgermeister von Kassel, Christian Geselle, zu Hause aufzusuchen. Im Messenger Telegram schrieb ein Nutzer namens „Christian“: „Wir können ja mal bei unserem Oberbürgermeister spazieren gehen.“ Er wisse, wo er wohnt.

Darauf reagierten andere mit Zustimmung – auch ein „Micky“, der fragte, ob Politiker wie Geselle für ihr Handeln in der Pandemie bestraft würden.

Geselle will sich von so einem Verhalten „in meiner demokratischen Grundhaltung nicht einschüchtern lassen“, wie er der HNA sagte: „Man kann mich gerne kritisieren. Dafür ist aber mein Dienstsitz im Rathaus der richtige Ort und nicht das Lebensumfeld meiner Familie.“ Ein solcher Eingriff in die Privatsphäre sei absolut inakzeptabel.

„Absolut inakzeptabel“: „Querdenker“ wollen Kassels Oberbürgermeister aufsuchen

Zugleich machte der SPD-Politiker einen Vorfall aus dem Sommer öffentlich, als „Querdenker“ bei einem ihrer Auto-Corsos durch die Straße fuhren, in der Geselle wohnt. „Meine Familie hat sich von ihnen durch Autokorsos, Lautsprecherdurchsagen und unangemessenes Verhalten direkt vor unserem Haus bedroht gefühlt“, klagt der Rathaus-Chef und fordert einen fairen Umgang: „Meine Familie zu bedrohen, darf keine Maßnahme politischer Auseinandersetzung sein.“

Zuletzt waren bereits anderswo Politiker ins Visier von „Querdenkern“ geraten. So gab es vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping einen Fackel-Umzug. Laut einem Polizeisprecher hat es auch in der Region „vereinzelte Aufrufe zu vergleichbaren Spazier- oder Aufsuchaktionen“ gegeben, „die sich jeweils unterhalb der Grenze zur Strafbarkeit befinden und meist nicht umgesetzt wurden“. Man nehme die Aufrufe sehr ernst und sensibilisiere die betroffenen Personen und Institutionen.

Zuletzt waren auch heimische Organisatoren des Gegen-Protests ins Visier von „Querdenkern“ geraten. In der Telegram-Gruppe der „Freien Bürger“ hieß es, man habe Namen und Adressen und könne „auch gerne“ den Spieß umdrehen.

Philipp Kolodziej, Mitorganisator der Corona-Proteste, erklärt: „Dass sich große Mengen Spaziergänger zum Oberbürgermeister nach Hause aufmachen, bezweifle ich. Ich hoffe, dass das nicht einmal Einzelne tun werden, denn das könnte einen falschen Eindruck erwecken über die Protestbewegung.“

Nach Drohung Richtung Oberbürgermeister: „Querdenker“ sollen stärker kontrolliert werden

Szenen wie am vorigen Montag auf der Kasseler Friedrich-Ebert-Straße könnten sich bald häufiger wiederholen. Dort löste die Polizei einen „Spaziergang“ der „Querdenker“ auf. Laut Schätzungen hatten 500 Kritiker der Corona-Maßnahmen an dem nicht angemeldeten Rundgang teilgenommen. Die Stadt Kassel hat nun angekündigt, dass „seitens der Behörden verstärkt auf die Einhaltung der zu Beginn der Versammlung verfügten Auflagen“ bestanden werde.

Seit Monaten machen „Querdenker“ aus „Spaziergängen“ Spontanversammlungen, die bei Behörden nicht angemeldet werden müssen. In praktisch jeder Stadt in der Region treffen sich mittlerweile Menschen, um gemeinsam durch die Straßen zu gehen. Während bei angemeldeten Veranstaltungen in der Pandemie Maskenpflicht gilt und Abstände eingehalten werden müssen, ziehen die „Spaziergänger“ durch Städte und Gemeinden im Kreis, ohne sich an diese Maßnahmen zu halten.

Manche fordern darum ein Verbot der „Spaziergänge“. Andere betonen, dass das Demonstrationsrecht ein sehr hohes Gut ist. Kommunen stecken in der Zwickmühle. Darum stellt Landrat Andreas Siebert nun fest: „Die sogenannten Corona-Spaziergänge sind keine individuelle Freizeitbeschäftigung, sondern Versammlungen, für die das Versammlungsrecht gilt.“

„Querdenker“ rufen zu weiteren „Spaziergängen“ auf: Demonstrationsrecht ein sehr hohes Gut

Auch für sie gelte, dass sie wie andere Versammlungen 48 Stunden vor der Bekanntgabe der Versammlung bei den Behörden angemeldet werden müssen, wie es in einer Pressemitteilung des Kreises nach einem Gespräch zwischen Landrat, Bürgermeistern und Polizei heißt. Man folge damit der aktuellen Rechtsprechung.

„Für uns schafft das Handlungssicherheit“, sagt Polizeisprecher Matthias Mänz. Gleichwohl könnten „Spaziergänge“ auch jetzt nicht sofort aufgelöst werden. Man werde die Teilnehmer auf die Auflagen hinweisen. Zudem müsse es einen Versammlungsleiter geben. „Bei null Kooperation kann die Veranstaltung aufgelöst werden“, sagt Mänz.

Die „Freien Bürger“, die zahlreiche Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in der Region organisieren, rufen derweil zu weiteren „Spaziergängen“ auf. Mitorganisator Kolodziej erklärt: „Wenn der Staat nun sowohl Versammlungen als auch Spaziergänge mit aller Kraft bekämpft, ist das ein Armutszeugnis für eine immer totalitärer werdende Regierung. Niemand steuert diese Spaziergänge. Die Menschen mit unberechtigten Strafandrohungen einschüchtern zu wollen kann auch nach hinten losgehen und noch mehr Protest bewirken.“ (Matthias Lohr)

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