Es gibt regionale Täter beziehungsweise Tätergruppen und überregionale, die zumeist aus den Niederlanden stammen und eigens für die Taten nach Deutschland einreisen, so Virginie Wegner, Sprecherin des Hessischen Landeskriminalamts (HLKA) in Wiesbaden. Die Täter agierten fast immer nachts oder in den frühen Morgenstunden, zwischen 1 und 5 Uhr. Sie seien in hochmotorisierten Fahrzeugen unterwegs, um schnell flüchten zu können. Sie würden zudem rücksichtsloser und gewaltbereiter. Sie nutzten zum Sprengen mittlerweile überwiegend sogenannte Festsprengstoffe anstatt der sonst üblichen Mischung aus Gasflaschen.
Warum ist diese Methode gefährlicher?
Die Gefahr für unbeteiligte Dritte (zum Beispiel Anwohner und Bankkunden) ist dabei noch höher, da die Sprengungen mittels Sprengstoffen eine größere zerstörerische Energie entfalten im Vergleich zur Wirkung von Gasgemischen. Festsprengstoffe werden laut Kriminalhauptkommissarin Katrin Gladitz, Sprecherin des Niedersächsischen Landeskriminalamts, seit Sommer 2020 vermehrt eingesetzt, da Geldautomaten zunehmend gegen das Einleiten von Gas gesichert sind. Mit dem Einsatz von Sprengstoff nehmen die Täter noch größere Gebäudeschäden in Kauf. Es werden aber auch Menschenleben riskiert.
Wurden durch Automatensprengungen bereits Menschen in Deutschland verletzt oder gar getötet?
Zum Glück noch nicht, aber die Täter nehmen das durchaus in Kauf, wie das Hessische Innenministerium an zwei Beispielen deutlich macht. In Bonn stürzte durch die in tiefer Nacht erfolgte Detonation des festen Explosivstoffes eine Gebäudewand in das angrenzend liegende Kinderzimmer und fiel auf ein Kinderbett. Glücklicherweise schliefen die beiden Kinder in dieser Nacht nicht dort. Nur deshalb erlitten sie keine lebensbedrohlichen Verletzungen. Ihr Vater hingegen wurde leicht verletzt.
In Rüsselsheim am Main schlief ein Obdachloser im Servicebereich der Filiale in unmittelbarer Nähe zu den Geldautomaten. Dies hielt die Täter nicht davon ab, ebenfalls in tiefer Nacht, den Automaten zu sprengen. Lediglich glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass der Mann ohne Verletzungen überlebte.
Warum gibt es besonders viele Sprengungen in Deutschland?
Aktuell kommen gleich mehrere Faktoren den Tätern und Tätergruppen zu Gute. Etwa gibt es in Deutschland recht viele Geldautomaten. Mechanische und technische Schutzvorrichtungen sind teilweise leider nur gering verbaut. Selbiges gilt für Schutzsysteme, wie etwa Geldeinfärbe- oder sogenannte Verklebesysteme, die eine Nutzung des erbeuteten Geldes erschweren. Tatgelegenheiten lassen sich durch das Ergreifen verschiedener Präventionsmaßnahmen minimieren. Das zeigen Präventionsergebnisse aus Nachbarstaaten, zum Beispiel den Niederlanden oder Frankreich.
Schützen sich die deutschen Banken ausreichend vor den Sprengungen?
„Um die Fallzahlen deutlich zu reduzieren, müssen grundsätzlich die Tatgelegenheiten und Tatanreize reduziert werden“, sagt Kriminalhauptkommissarin Katrin Gladitz (Hintergrund). Bei den Maßnahmen handelt es sich um bundeseinheitliche Empfehlungen der Polizei für Betreiber von Geldautomaten, die durch eine Projektgruppe der Kommission Polizeiliche Kriminalprävention (KPK) unter Beteiligung der Dachverbände der Kreditwirtschaft erarbeitet und seit 2019 an die Kreditinstitute herangetragen werden. Die Umsetzung dieser Empfehlungen ist nicht verpflichtend, sondern obliegt den jeweiligen Betreibern der Geldausgabeautomaten.
Kann man den Banken nicht gesetzlich vorschreiben, sich besser gegen Sprengungen zu schützen?
Derzeit existiert noch keine gesetzliche Grundlage, Präventionselemente einzeln oder im Zusammenwirken vorzuschreiben, teilt das Hessische Innenministerium mit. Inwiefern hierfür eine gesetzliche Änderung nötig ist, um Kreditinstitute zu entsprechenden Schutzmaßnahmen zu verpflichten, werde auch im Rahmen der Innenministerkonferenz zurzeit diskutiert. Ziel des Innenministeriums ist es, im Schulterschluss mit der Bankenwirtschaft Präventionsmaßnahmen gemeinsam zu prüfen und zu realisieren, um schnellstmöglich die Tatgelegenheiten auf ein Minimum zu reduzieren.
Wie sehen die Fahndungserfolge der Ermittler aus?
Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt führt hessenweit zentralisierte Ermittlungen wegen der Sprengung von Geldautomaten. Derzeit befinden sich insgesamt 21 Tatverdächtige in Untersuchungs- beziehungsweise Auslieferungshaft, heißt es in einer Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt. Insgesamt 14 Personen wurden im Jahr 2021, teilweise bereits rechtskräftig, zu Freiheitsstrafen zwischen 1 Jahr und 7 Jahren und 3 Monaten verurteilt.